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Bundesgerichtshof, Urteil vom 04.04.2019
- III ZR 35/18 -
Zusammenbruch im Sportunterricht: Lehrer haben Pflicht zur rechtzeitigen und ordnungsgemäßen Durchführung erforderlicher und zumutbarer Erste-Hilfe-Maßnahmen
Haftung für Amtspflichtverletzungen von Lehrkräften darf nicht nur bei grober Fahrlässigkeit und damit nur in Ausnahmefällen eintreten
Der Bundesgerichtshof hatte über Amtshaftungsansprüche eines (ehemaligen) Schülers wegen behauptet unzureichender Erste-Hilfe-Maßnahmen durch das Lehrpersonal des Landes Hessen anlässlich eines im Sportunterricht erlittenen Zusammenbruchs zu entscheiden. Der Bundesgerichtshof hob das vorangegangene Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf und wies die Sache an das Berufungsgericht zurück. Der Bundesgerichtshof verwies in seiner Entscheidung aber darauf, dass den Sportlehrern die Amtspflicht obliege, erforderliche und zumutbare Erste-Hilfe-Maßnahmen rechtzeitig und in ordnungsgemäßer Weise durchzuführen. Eine Haftung für Amtspflichtverletzungen von Lehrkräften dürfe nicht nur bei grober Fahrlässigkeit und damit nur in Ausnahmefällen eintreten.
Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der seinerzeit 18 Jahre alte Kläger war
Schüler verlangt Schadensersatz
Der Kläger verlangte
Klage vor LG und OLG erfolglos
Das Landgericht wies die Klage nach Vernehmung von Zeugen ab. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg gehabt. Das Oberlandesgericht ließ dabei offen, ob die Sportlehrer nach dem Ergebnis der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme ihre Amtspflicht, erforderliche und zumutbare Erste-Hilfe-Maßnahmen zu leisten, verletzt haben. Denn es lasse sich jedenfalls nicht feststellen, dass sich ein etwa pflichtwidriges
BGH weist Sache zurück an OLG
Der Bundesgerichtshof hob das Urteil des Oberlandesgerichts auf und wies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück, da auf der Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstandes ein Schadensersatzanspruch des Klägers nicht auszuschließen sei und es insoweit weiterer tatrichterlicher Feststellungen bedürfe.
Versäumnisse der Lehrkräfte als Ursächlichkeit für eingetretenen Hirnschaden müssen zweifelsfrei ausgeschlossen werden können
Das Berufungsgericht habe die Frage, ob aufgrund der erstinstanzlichen Beweisaufnahme von einer schuldhaften
Verletzung der Nebenpflicht zur Leistung von Erster Hilfe rechtfertigt auch bei grob fahrlässigem Handeln keine Beweislastumkehr
Für das weitere Verfahren wies der Bundesgerichtshof auf Folgendes hin: Der Kläger könne sich nicht entsprechend den im Arzthaftungsrecht entwickelten Beweisgrundsätzen bei groben Behandlungsfehlern auf eine Umkehr der Beweislast berufen mit der Folge, dass das beklagte Land die Nichtursächlichkeit etwaiger Pflichtverletzungen der Sportlehrer nachweisen müsse. Zwar würden diese Grundsätze nach der Senatsrechtsprechung wegen der Vergleichbarkeit der Interessenlage entsprechend bei grober Verletzung von Berufs- oder Organisationspflichten gelten, sofern diese als Kernpflichten, ähnlich wie beim Arztberuf, spezifisch dem Schutz von Leben und Gesundheit anderer dienen. Dies habe der Bundesgerichtshof für Hausnotrufverträge und die Badeaufsicht in Schwimmbädern angenommen. Die Amtspflicht der Sportlehrer zur Ersten Hilfe bei Notfällen sei wertungsmäßig jedoch nur eine die Hauptpflicht zur Unterrichtung und Erziehung begleitende Nebenpflicht. Die Sportlehrer würden an der Schule nicht primär oder in erster Linie - sondern nur "auch" - eingesetzt, um in Notsituationen Erste-Hilfe-Maßnahmen durchführen zu können. Eine Verletzung dieser Nebenpflicht, auch wenn sie grob fahrlässig erfolgt sein sollte, rechtfertige keine Beweislastumkehr in Anlehnung an die oben aufgeführten Fallgruppen.
Sportlehrern obliegt Amtspflicht zur Durchführung erforderlicher und zumutbarer Erste-Hilfe-Maßnahmen
Eine Haftung des beklagten Landes (§ 839 BGB, Art. 34 GG) komme nicht nur im Fall grober Fahrlässigkeit in Betracht. Das Haftungsprivileg für Nothelfer (§ 680 BGB) greife hier entgegen der Ansicht des Beklagten nicht. § 680 BGB wolle denjenigen schützen, der sich bei einem Unglücksfall zu spontaner Hilfe entschließe. Dabei berücksichtige die Vorschrift, dass wegen der in Gefahrensituationen geforderten schnellen Entscheidung ein ruhiges und überlegtes Abwägen kaum möglich sei und es sehr leicht zu einem Sichvergreifen in den Mitteln der Hilfe kommen könne. Die Situation einer Sportlehrkraft, die bei einem im Sportunterricht eintretenden Notfall tätig werde, sei aber nicht mit der einer spontan bei einem Unglücksfall Hilfe leistenden unbeteiligten Person zu vergleichen. Den Sportlehrern des beklagten Landes habe die Amtspflicht oblegen, etwa erforderliche und zumutbare Erste-Hilfe-Maßnahmen rechtzeitig und in ordnungsgemäßer Weise durchzuführen. Um dies zu gewährleisten, hätten die Sportlehrer bereits damals über eine aktuelle Ausbildung in Erster Hilfe verfügen müssen. Die Situation des § 680 BGB entspreche damit zwar der von Schülern, aber nicht der von Sportlehrern, zu deren öffentlich-rechtlichen Pflichten jedenfalls auch die Abwehr von Gesundheitsschäden der
§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB
Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.
Art. 34 Satz 1 GG
Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht.
§ 680 BGB
Bezweckt die Geschäftsführung die Abwendung einer dem Geschäftsherrn drohenden dringenden Gefahr, so hat der Geschäftsführer nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten.
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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 04.04.2019
Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online (pm)
- Landgericht Wiesbaden, Urteil vom 30.11.2016
[Aktenzeichen: 5 O 201/15] - Vornahme von erforderlicher und zumutbarer Erster Hilfe gehört zur Amtspflicht der Lehrer
(Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 25.01.2018
[Aktenzeichen: 1 U 7/17])
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Dokument-Nr. 27260
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