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Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 14.01.2020
- 2 BvR 2055/16 -
Entfernung aus dem Beamtenverhältnis durch Verwaltungsakt verfassungsrechtlich zulässig
Lebenszeitprinzip durch Abschaffung der gerichtlichen Disziplinargewalt nicht verletzt
Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis durch Verwaltungsakt verstößt nicht gegen hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums im Sinne von Art. 33 Abs. 5 GG. Ein Grundsatz der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nur durch Richterspruch oder nur durch eine vom Dienstvorgesetzen verschiedene Stelle existiert nicht. Auch ist das Lebenszeitprinzip durch die Abschaffung der gerichtlichen Disziplinargewalt nicht verletzt. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht und wies damit die Verfassungsbeschwerde eines ehemaligen baden-württembergischen Polizeibeamten zurück, der entsprechend dem geänderten Landesrecht durch Verwaltungsakt aus dem Beamtenverhältnis entfernt worden war.
Im Disziplinarrecht des Bundes und der meisten Länder ist die Entscheidung über die
Sachverhalt
Der Beschwerdeführer des zugrunde liegenden Verfahrens übte seinen Dienst zuletzt als Polizeiobermeister bei einem Polizeirevier aus. Parallel hierzu war er als Geschäftsführer zweier Bauunternehmen tätig. In diesem Zusammenhang wurde er dreimal insbesondere wegen Betrugs- und Urkundendelikten rechtskräftig verurteilt, zuletzt zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten. Im Dezember 2011 entfernte ihn das zuständige Polizeipräsidium aus dem Beamtenverhältnis. Seine hiergegen gerichtete Klage blieb in allen Instanzen bis hin zur Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht erfolglos.
Entfernung aus Beamtenverhältnis darf nicht nur durch Richterspruch erfolgen
Das Bundesverfassungsgericht verwies in seiner Entscheidung darauf, dass nach Art. 33 Abs. 5 GG das Recht des öffentlichen Dienstes unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln ist. Diese umfassen den Kernbestand von Strukturprinzipien, die allgemein oder doch ganz überwiegend während eines längeren, traditionsbildenden Zeitraums, insbesondere unter der Reichsverfassung von Weimar, als verbindlich anerkannt und gewahrt worden sind. Ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums, wonach eine
Beamten sollten vor willkürlicher Entfernung aus Beamtenverhältnis geschützt werden
Auch ein hergebrachter Grundsatz, wonach die Entfernungsentscheidung der unmittelbaren alleinigen Diziplinargewalt des Dienstvorgesetzten entzogen und immer einem Gremium zu überantworten ist, besteht nicht. Neben der Übertragung der Disziplinarbefugnis auf Gerichte fanden sich im traditionsbildenden Zeitraum verschiedenste Elemente exekutiver Selbst- und judikativer Fremdkontrolle, die ihrerseits unterschiedlich kombiniert wurden. Hierbei ging es jedoch nicht primär darum, gerade dem Dienstvorgesetzten die Disziplinarbefugnis zu entziehen, sondern darum, den Beamten vor einer willkürlichen
Beendigung des Beamtenverhältnisses ist nur unter genau gesetzlich geregelten Voraussetzungen und Formen zulässig
Das zum Kernbestand der Strukturprinzipien gehörende Lebenszeitprinzip aus Art. 33 Abs. 5 GG erfordert keinen Richtervorbehalt für Entfernungen aus dem Beamtenverhältnis, da effektiver nachgelagerter Rechtsschutz sichergestellt ist. Es beinhaltet neben dem Grundsatz der lebenszeitigen Anstellung auch die grundsätzliche Unentziehbarkeit des statusrechtlichen Amtes. Erst rechtliche und wirtschaftliche Sicherheit bietet die Gewähr dafür, dass das Berufsbeamtentum zur Erfüllung der ihm vom Grundgesetz zugewiesenen Aufgabe, im politischen Kräftespiel eine stabile, gesetzestreue Verwaltung zu sichern, beitragen kann. Dazu gehört auch und vor allem, dass
Etwaiger unberechtigter Eingriff in Lebenszeitprinzip kann durch nachträgliche gerichtliche Überprüfung korrigiert werden
Der Schutz vor Staatswillkür und Machtmissbrauch zur Freiheitssicherung wird im demokratischen Rechtsstaat des Grundgesetzes vornehmlich durch die Gewaltenteilung gewährleistet. Dies bedeutet jedoch nicht, dass bereits die disziplinare Erstentscheidung von einem Gericht getroffen werden muss. Vielmehr kann angesichts des ausdifferenzierten Rechtsschutzsystems ein hinreichender Grundrechtsschutz grundsätzlich durch nachträgliche gerichtliche Kontrolle gewährleistet werden. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass ausnahmsweise im Sinne eines Grundrechtsschutzes durch Verfahren eine originäre gerichtliche Primärentscheidung geboten sein kann. Dieses kann insbesondere dann erforderlich sein, wenn nachträglicher Rechtsschutz nur unzureichenden Schutz bietet. Derartige strukturelle Rechtsschutzdefizite lassen sich aber hier nicht feststellen. Zwar greift die
Jedenfalls im Fall eines nachgelagerten effektiven Rechtsschutzes in Gestalt einer gerichtlichen Vollkontrolle ist dem Lebenszeitprinzip Genüge getan. Die
Kein Beurteilungsspielraum bei Feststellung des endgültigen Vertrauensverlustes
Nach dem LDG BW wird ein
Damit ist die Frage einer zumindest partiellen originären Disziplinargewalt von Gerichten bei Entfernungsentscheidungen letztlich nur unter Beschleunigungsgesichtspunkten relevant. Denn ein rein kassatorisches Urteil kann das Disziplinarverfahren erheblich verlängern, wenn die Dienstvorgesetzten erneut eine Disziplinarmaßnahme verhängen, welche ihrerseits wiederum zur gerichtlichen Überprüfung gestellt wird. Angesichts dieser Verzögerungsrisiken besteht zwar die Möglichkeit von Spannungen zu dem aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgenden Gebot der zügigen Durchführung eines Disziplinarverfahrens. Die mit dem nachgelagerten gerichtlichen Rechtsschutz möglicherweise in Einzelfällen einhergehenden Verzögerungen wiegen jedoch nicht so schwer, dass eine originäre Disziplinargewalt der Gerichte zwingend erforderlich wäre.
Keine weiteren faktischen Hindernisse für Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes durch Wegfall der Entfernung per Richterspruch
Durch den Wegfall der
Anhaltspunkte für strukturellen Missbrauch im Sinne "schikanöser Entfernungen" nicht gegeben
An die Ausgestaltung des behördlichen Verfahrens stellt das Lebenszeitprinzip bei einer umfassenden und effektiven gerichtlichen Letztkontrolle keine besonderen Anforderungen. Die Sorge, die Verwaltung könnte wegen der Neuregelung von einer erforderlichen
Abweichende Meinung des Richters Huber
Das überkommene Verständnis der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums mit ihrer Fixierung auf die Weimarer Zeit bedarf insoweit der Modifikation, als sich auch unter der Geltung des Grundgesetzes "hergebrachte Grundsätze" entwickeln konnten und können. Dies wirkt sich im vorliegenden Fall indes nicht aus, weil die Senatsmehrheit die Existenz eines hergebrachten Grundsatzes des Berufsbeamtentums, wonach die
Allerdings greift die praktisch ersatzlose Streichung des präventiven Richtervorbehalts bei der
Der präventive Richtervorbehalt gewährleistet Beamtinnen und Beamten nicht nur ein Höchstmaß an effektivem Rechtsschutz. Er sichert zugleich Fairness und Waffengleichheit zwischen dem Beamten und seinem Dienstherrn und erschwert eine missbräuchliche Inanspruchnahme des Disziplinarrechts durch den Vorgesetzten. Er ist in Deutschland durch seine jahrzehntelange Geltung zu einer wesentlichen Ausformung des Lebenszeitprinzips geworden und damit Teil des effektiven Gewährleistungsbereichs von Art. 33 Abs. 5 GG, den der Gesetzgeber zu beachten hat. Es geht dabei um die Gewährleistung der Unabhängigkeit von Beamtinnen und Beamten, ihren Schutz vor willkürlicher
§ 38 Abs. 1 LDG BW wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Verglichen mit dem Status quo ante birgt eine
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Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online (pm/kg)
- Verwaltungsgericht Karlsruhe, Urteil vom 27.06.2012
[Aktenzeichen: 11 K 3458/11] - Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 30.03.2020
[Aktenzeichen: 13 S 724/13] - Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21.04.2016
[Aktenzeichen: BVerwG 2 C 4.15]
- Polizeibeamter darf wegen erheblicher Straftaten aus dem Dienst entfernt werden
(Verwaltungsgericht Trier, Urteil vom 18.09.2018
[Aktenzeichen: 3 K 14676/17.TR]) - VG Trier: Entfernung eines Polizeibeamten aus dem Dienst wegen gefälschter Gebührenquittungen rechtmäßig
(Verwaltungsgericht Trier, Urteil vom 24.06.2010
[Aktenzeichen: 3 K 101/10.TR])
Fundierte Fachartikel zum diesem Thema beim Deutschen Anwaltsregister:
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Dokument-Nr. 28527
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