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Bundesverfassungsgericht, Entscheidung vom 11.01.2022
- 1 BvR 123/21 -
BVerfG: Unterbliebene Anhörung stellt Verstoß gegen Recht auf prozessuale Waffengleichheit dar
Erlass einer einstweiligen Verfügung ohne vorherige Anhörung grundrechtsverletzend
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass das Landgericht Berlin die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichem Recht auf prozessuale Waffengleichheit gemäß Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz verletzt hat, indem es ohne vorherige Anhörung eine einstweilige Verfügung erlassen hat.
Im September 2020 berichtete die Beschwerdeführerin, ein Presseverlag, in Wort und Bild über die Feier eines Richtfestes für das im Bau befindliche Anwesen der prominenten Antragstellerin des Ausgangsverfahrens. Auf den Fotos waren neben der Antragstellerin und ihrem Lebensgefährten der Rohbau des Hauses und die Gäste bei der Feierlichkeit zu sehen. Die Berichterstattung befasste sich unter anderem kritisch mit der Art und Weise der Durchführung der Feier während der aktuellen Corona-Pandemie. Die Antragstellerin mahnte die Beschwerdeführerin hinsichtlich bestimmter Teile der Wortberichterstattung sowie der gesamten Bildberichterstattung ab und forderte die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung.
Verfahren erfolgte ohne Benachrichtigung der Beschwerdeführerin
Die Beschwerdeführerin wies die geltend gemachten Ansprüche zurück. Im Oktober 2020 stellte die Antragstellerin beim Landgericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Die Pressekammer des Landgerichts erteilte einen gerichtlichen Hinweis, worin sie Bedenken äußerte, allein der Antragstellerin und gewährte nur ihr Gelegenheit zur Stellungnahme. Nach Erwiderung der Antragstellerin erging erneut ein allein an sie gerichteter Hinweis des Gerichts, worauf hin die Antragstellerin den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung teilweise zurücknahm. Das Landgericht erließ anschließend ("wegen Driglichkeit ohne mündliche Verhandlung") die angegriffene einstweilige Verfügung, die der Beschwerdeführerin Teile der Wort- und Bildberichterstattung untersagte. Die Beschwerdeführerin erfuhr erst nach Erlass der sie belastenden einstweiligen Verfügung, dass ein Verfahren anhängig war und dass das Gericht Hinweise erteilt hatte. Auch eine Gelegenheit, sich zum weiteren Vorbringen der Antragstellerin zu äußern, wurde ihr nicht gegeben.
Gerichtliche Hinweise viel zu spät
Erschwerend kommt hinzu, dass das Landgericht der Beschwerdeführerin (erst nach mehrmaliger Nachfrage) acht Wochen nach Erlass der gegen sie gerichteten einstweiligen Verfügung die gerichtlichen Hinweise zukommen ließ, so dass der Beschwerdeführerin erst ab diesem Zeitpunkt das gesamte Prozessgeschehen bekannt war.
Prozessuale Waffengleichheit durch das Vorgehen des Gerichts verletzt
Die prozessuale Waffengleichheit ist eine besondere Ausprägung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG. Als prozessuales Urrecht gebietet dieser, in einem gerichtlichen Verfahren der Gegenseite grundsätzlich vor einer Entscheidung Gehör und damit die Gelegenheit zu gewähren, auf eine bevorstehende gerichtliche Entscheidung Einfluss zu nehmen. Entbehrlich ist eine vorherige
Auch gerichtliche Hinweise müssen mit Gewährung rechtlichen Gehörs verbunden sein
Gehör ist laut Bundesverfassungsgericht insbesondere auch zu gewähren, wenn das Gericht dem Antragsteller Hinweise nach § 139 ZPO erteilt, von denen die Gegenseite sonst nicht oder erst nach Erlass einer für sie nachteiligen Entscheidung erfährt. Ein "einseitiges Geheimverfahren" über einen mehrwöchigen Zeitraum, in dem sich Gericht und Antragsteller über Rechtsfragen austauschen, ohne den Antragsgegner in irgendeiner Form einzubeziehen, sei mit den Verfahrensgrundsätzen des Grundgesetzes unvereinbar. Durch den Erlass der einstweiligen Verfügung ohne jegliche Einbeziehung der Beschwerdeführerin war keine Gleichwertigkeit ihrer prozessualen Stellung gegenüber der Verfahrensgegnerin gewährleistet. Dementsprechend hatte ihre Verfassungsbeschwerde Erfolg.
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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 22.03.2022
Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/cc)
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Dokument-Nr. 31540
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