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Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 20.12.2018
- 2 BvR 2377/16 -
Anbieter eines E-Mail-Dienstes kann im Rahmen einer ordnungsgemäß angeordneten Überwachung zur Übermittlung von IP-Adressen verpflichtet werden
Auch datenschutzoptimiertes Geschäftsmodell entbindet nicht von Einhaltung gesetzlicher Vorgaben
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass es nicht gegen das Grundgesetz verstößt, dass der Anbieter eines E-Mail-Dienstes im Rahmen einer ordnungsgemäß angeordneten Telekommunikationsüberwachung verpflichtet ist, den Ermittlungsbehörden die Internetprotokolladressen (im Folgenden: IP-Adressen) der auf ihren Account zugreifenden Kunden auch dann zu übermitteln, wenn er seinen Dienst aus Datenschutzgründen so organisiert hat, dass er diese nicht protokolliert.
Der Beschwerdeführer des zugrunde liegenden Falls betreibt einen E-Mail-Dienst, der mit einem besonders effektiven Schutz der Kundendaten wirbt und sich den Grundsätzen der Datensicherheit und der Datensparsamkeit verpflichtet sieht. Er erhebt und speichert Daten nur dann, wenn dies aus technischen Gründen erforderlich oder - aus seiner Sicht - gesetzlich vorgesehen ist. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führte ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts von Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz und das Kriegswaffenkontrollgesetz. Mit Beschluss vom 25. Juli 2016 ordnete das Amtsgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß §§ 100a, 100b StPO in der damals geltenden Fassung die Sicherung, Spiegelung und Herausgabe aller Daten, die auf den Servern des Dienstes bezüglich des betreffenden E-Mail-Accounts elektronisch gespeichert sind, "sowie sämtlicher bezüglich dieses Accounts künftig anfallender Daten" an. Das Landeskriminalamt gab dem Beschwerdeführer die angeordnete Überwachungsmaßnahme sowie den zu überwachenden Account bekannt. Daraufhin richtete der Beschwerdeführer die
Eingriff in Schutzbereiche nach Maßgabe einschlägiger gesetzlicher Vorschriften gerechtfertigt
Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Beschwerdeentscheidung richtet, ist sie jedenfalls unbegründet. Zwar greift die Festsetzung des Ordnungsgeldes in die durch Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Freiheit der Berufsausübung des Beschwerdeführers ein. Die Annahme des Landgerichts, der Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG sei nach Maßgabe der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften gerechtfertigt, begegnet jedoch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Überwachung der Telekommunikation im Sinne von § 100 a StPO erfasst auch fragliche IP-Adressen
Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG erlaubt Eingriffe in die Berufsfreiheit nur auf Grundlage einer gesetzlichen Regelung, die Umfang und Grenzen des Eingriffs erkennen lässt. Dabei muss der Gesetzgeber selbst alle wesentlichen Entscheidungen treffen, soweit sie gesetzlicher Regelung zugänglich sind. Je stärker in grundrechtlich geschützte Bereiche eingegriffen wird, desto deutlicher muss das gesetzgeberische Wollen zum Ausdruck kommen. Danach ist ein Grundrechtsverstoß nicht ersichtlich. Die Fachgerichte haben die Vorschriften über die Mitwirkungs- und Vorhaltungspflichten von Telekommunikationsdiensteanbietern in verfassungsrechtlich vertretbarer Weise ausgelegt. Sie durften ohne Verfassungsverstoß davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer verpflichtet war seinen Betrieb so zu gestalten, dass er den Ermittlungsbehörden die am überwachten Account vom Zeitpunkt der Anordnung an anfallenden externen
Zugriff auf E-Mail-Kommunikation fällt unstrittig in Anwendungsbereich des § 100 a StPO
Die - verfassungskonforme - Vorschrift des § 100 a StPO ermächtigt zur Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation. Vor dem Hintergrund des "weiten" Telekommunikationsbegriffs unterfällt der Zugriff auf E-Mail-Kommunikation, jedenfalls soweit es sich um die Übertragung der Nachricht vom Gerät des Absenders über dessen Mailserver auf den Mailserver des E-Mail-Providers und um den späteren Abruf der Nachricht durch den Empfänger handelt, unstrittig dem Anwendungsbereich des § 100 a StPO.
Überwachung der Telekommunikation gemäß § 100 a StPO betrifft auch anfallende IP-Adressen
Vom Schutz des Fernmeldegeheimnisses nach Art. 10 Abs. 1 GG sind aber nicht nur die Kommunikationsinhalte, sondern auch die näheren Umstände der Telekommunikation erfasst. Vor diesem Hintergrund betrifft die Überwachung der Telekommunikation gemäß § 100 a StPO auch die Verkehrsdaten im Sinne des § 3 Nr. 30 TKG, soweit diese im Rahmen der zu überwachenden Telekommunikation anfallen. Zu den Verkehrsdaten in diesem Sinne gehören auch und gerade die anfallenden
Betreiber einer Telekommunikationsanlage muss nicht zwingend Maßnahmen zur möglichen Bereitstellung von Daten treffen
Der Umstand, dass die Überwachung des E-Mail-Verkehrs im Rahmen einer Anordnung nach § 100 a StPO auch die bezeichneten
Auch Beschwerdeführer unterliegt Vorhaltungsverpflichtung
Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG besteht für Betreiber von öffentlich zugänglichen Telekommunikationsdiensten die Verpflichtung, ab dem Zeitpunkt der Betriebsaufnahme auf eigene Kosten technische Einrichtungen zur Umsetzung der
Bei der Telekommunikation anfallende IP-Adressen sind als "Adressierungsangaben" anzusehen
Der Umfang der bereitzustellenden Daten bestimmt sich nach § 5 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 TKÜV. Gemäß § 5 Abs. 1 TKÜV besteht die zu überwachende Telekommunikation - dem weiten Telekommunikationsbegriff des § 100 a StPO entsprechend - aus dem Inhalt und den Daten über die näheren Umstände der Telekommunikation. Nach Absatz 2 der Vorschrift hat der Verpflichtete eine vollständige Kopie der Telekommunikation bereitzustellen, die über seine Telekommunikationsanlage abgewickelt wird. Als Teil dieser Überwachungskopie hat der Verpflichtete gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 3 und 4 TKÜV schließlich auch die bei ihm vorhandenen Daten über eine gewählte Rufnummer oder eine andere Adressierungsangabe bereitzustellen. Nach dem Sprachgebrauch des TKG unterfallen die bei einer Telekommunikation anfallenden
Telekommunikationsanlage des Beschwerdeführers sind IP-Adressen zumindest zeitweise bekannt
Es ist auch jedenfalls verfassungsrechtlich vertretbar anzunehmen, die Daten seien beim Beschwerdeführer vorhanden im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 TKÜV und von diesem als Teil der vollständigen Kopie der überwachten, über seine Telekommunikationsanlage abgewickelten Telekommunikation bereitzustellen. Schon aus der von ihm beschriebenen Systemstruktur ergibt sich, dass der Beschwerdeführer die öffentlichen
Die Überwachung der - künftigen - Telekommunikation gemäß § 100 a StPO ist - anders als die Erhebung von Verkehrsdaten nach § 100 g StPO - auch nicht auf die Verkehrsdaten beschränkt, die nach § 96 Abs. 1 TKG vom Diensteanbieter zulässigerweise erhoben werden dürfen.
Geschäfts- und Systemmodell des Beschwerdeführers entbindet nicht von Auskunftspflicht
Dass der Beschwerdeführer auf die externen
Gesetzliche Neuregelungen haben nur klarstellende Funktion
Diesem Ergebnis steht schließlich auch nicht entgegen, dass sich die bereitzustellenden Daten nach der im Rahmen der Neubekanntmachung der TKÜV vom 11. Juli 2017 neu eingefügten Regelung in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 TKÜV nunmehr ausdrücklich auch auf die der Telekommunikationsanlage des Verpflichteten bekannten öffentlichen
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers verdrängt § 100 g Abs. 1 StPO, soweit die (Echtzeit-)Überwachung künftiger Telekommunikation betroffen ist, die Vorschrift des § 100 a StPO nicht.
Gegen die Festsetzung des Ordnungsgeldes in Höhe von 500 Euro ist im konkreten Fall von Verfassungs wegen ebenfalls nichts zu erinnern.
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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 29.01.2019
Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online
- Dynamische IP-Adressen dürfen als personenbezogene Daten nur unter bestimmten Voraussetzungen gespeichert werden
(Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.05.2017
[Aktenzeichen: VI ZR 135/13]) - BVerfG: Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung verfassungsgemäß
(Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.10.2011
[Aktenzeichen: 2 BvR 236/08, 2 BvR 237/08, 2 BvR 422/08])
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Dokument-Nr. 26982
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