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Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 18.06.2012
1 BvR 774/10, 1 BvR 1530/11 und 1 BvR 2867/11 -

Zurechnung fiktiver Einkünfte eines Unterhaltspflichtigen bei der Bemessung des Kindesunterhalts nicht immer zulässig

Gerichte müssen Zurechnung eines fiktiven Einkommens im Einzelfall ausreichend begründen

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass bei der Bemessung von Kindesunterhalt nicht nur die tatsächlichen, sondern auch fiktiv erzielbare Einkünfte berücksichtigt werden können, wenn der Unterhaltsverpflichtete eine ihm mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit unterlässt, obwohl er diese „bei gutem Willen“ ausüben könnte. Die Gerichte müssen jedoch bei der Festsetzung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen und im Einzelfall prüfen, ob der Unterhaltspflichtige in der Lage ist, den beanspruchten Unterhalt zu zahlen.

In den vorliegenden Verfahren hat sich das Bundesverfassungsgericht erneut mit den Voraussetzungen befasst, die an die Feststellung der Erwerbsfähigkeit und Erwerbsmöglichkeiten eines Unterhaltspflichtigen zu stellen sind. Reicht das Einkommen eines Unterhaltspflichtigen unter Wahrung seines Selbstbehalts nicht aus, um seine Unterhaltspflicht gegenüber einem minderjährigen Kind in vollem Umfang zu erfüllen, können ihm grundsätzlich fiktiv die Einkünfte zugerechnet werden, die er erzielen könnte, wenn er eine ihm mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit ausüben würde.

Sachverhalt im Verfahren 1 BvR 774/10

Der Beschwerdeführer im Verfahren 1 BvR 774/10 stammt aus Ghana und ist der deutschen Sprache nur begrenzt mächtig. Als Küchenhilfe bezieht er einen Nettoverdienst von rund 1.027 Euro monatlich. Das Amtsgericht verurteilte ihn, an seinen minderjährigen Sohn den Mindestunterhalt von damals 199 Euro im Monat zu zahlen. Es sei davon auszugehen, dass er als ungelernte Arbeitskraft bei entsprechenden Bemühungen eine Erwerbstätigkeit finden könne, die mit einem Bruttostundenlohn von 10 Euro vergütet werde, sodass er von dem sich ergebenden Nettoeinkommen unter Berücksichtigung des Selbstbehalts in Höhe von 900 Euro den Mindestunterhalt in Höhe von 176 Euro decken könne. Den Fehlbetrag von 23 Euro müsse er mit einer Nebentätigkeit erwirtschaften.

Sachverhalt im Verfahren 1 BvR 1530/11

Der 1953 geborene Beschwerdeführer im Verfahren 1 BvR 1530/11, gelernter Baumaschinist und Betonfacharbeiter, ist körperlich behindert und lebt von Sozialleistungen. Das Amtsgericht verurteilte ihn zur Zahlung des Mindestunterhalts in Höhe von damals 285 Euro im Monat, wobei es unterstellte, dass der Beschwerdeführer bei überregionalen Bemühungen eine Arbeit, beispielsweise als Nachtportier oder Pförtner, finden könne, durch die er ein bereinigtes Nettoeinkommen von 1.235 Euro monatlich erzielen könne.

Sachverhalt im Verfahren 1 BvR 2867/11

Der körperlich behinderte Beschwerdeführer im Verfahren 1 BvR 2867/11 lebt ebenfalls von Sozialleistungen. Er wurde vom Amtsgericht zur Zahlung eines Unterhalts von 225 Euro monatlich verpflichtet. Seine körperlichen Einschränkungen entbänden ihn nicht davon, alles ihm Mögliche zur Sicherung des Unterhalts seines minderjährigen Kindes zu unternehmen. Da er keine Angaben zu seinen Bemühungen um eine Arbeit gemacht habe, sei fiktiv von seiner Fähigkeit zur Zahlung des Mindestunterhalts auszugehen.

BverfG rügt Verletzung des Grundrecht auf wirtschaftliche Handlungsfreiheit

Die von den Beschwerdeführern jeweils eingelegten Rechtsmittel hatten vor den Oberlandesgerichten keinen Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht hat die angegriffenen Entscheidungen aufgehoben, weil sie die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht auf wirtschaftliche Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzen, und die Sachen jeweils an das zuständige Oberlandesgericht zur Entscheidung zurückverwiesen.

Grenzen des Zumutbaren eines Unterhaltsanspruchs dürfen nicht überschritten werden

Den Beschlüssen liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Eltern haben gegenüber ihren minderjährigen Kindern eine gesteigerte Erwerbsobliegenheit. Es ist daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass nicht nur die tatsächlichen, sondern auch fiktiv erzielbare Einkünfte berücksichtigt werden, wenn der Unterhaltsverpflichtete eine ihm mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit unterlässt, obwohl er diese „bei gutem Willen“ ausüben könnte. Gleichwohl bleibt Grundvoraussetzung eines jeden Unterhaltsanspruchs die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten. Auch im Rahmen der gegenüber minderjährigen Kindern gesteigerten Erwerbsobliegenheit haben die Gerichte dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung zu tragen und im Einzelfall zu prüfen, ob der Unterhaltspflichtige in der Lage ist, den beanspruchten Unterhalt zu zahlen. Wird die Grenze des Zumutbaren eines Unterhaltsanspruchs überschritten, ist die Beschränkung der finanziellen Dispositionsfreiheit des Verpflichteten als Folge der Unterhaltsansprüche des Bedürftigen nicht mehr Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung und kann vor dem Grundrecht der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG nicht bestehen.

Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Zurechnung fiktiver Einkünfte

Die Zurechnung fiktiver Einkünfte zur Begründung der Leistungsfähigkeit setzt zweierlei voraus: Zum einen muss feststehen, dass subjektiv Erwerbsbemühungen des Unterhaltsschuldners fehlen. Zum anderen müssen die zur Erfüllung der Unterhaltspflichten erforderlichen Einkünfte für den Verpflichteten objektiv erzielbar sein, was von seinen persönlichen Voraussetzungen wie beispielsweise Alter, beruflicher Qualifikation, Erwerbsbiographie und Gesundheitszustand und dem Vorhandensein entsprechender Arbeitsstellen abhängt.

Voraussetzungen für zulässige Zurechnung fiktiver Einkünfte hier nicht gegeben

Diesen Maßstäben werden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht, weil sie keine tragfähige Begründung für die Annahme enthalten, der Beschwerdeführer könnte bei einem Arbeitsplatzwechsel bzw. bei ausreichenden, ihm zumutbaren Bemühungen um einen Arbeitsplatz ein Einkommen in der zur Zahlung des titulierten Unterhalts erforderlichen Höhe erzielen.

Gericht setzt sich nicht ausreichend mit persönlichen Voraussetzungen des Beschwerdeführers und tatsächlichen Gegebenheiten des Arbeitsmarkts auseinander

Im Verfahren 1 BvR 774/10 hat das Oberlandesgericht ohne nähere Begründung und ohne seine eigene Sachkunde näher darzulegen festgestellt, einem ungelernten Mann sei es möglich, einen Bruttostundenlohn von 10 Euro zu erzielen. Dass es sich dabei an den persönlichen Voraussetzungen und Möglichkeiten des Beschwerdeführers und an den tatsächlichen Gegebenheiten am Arbeitsmarkt orientiert hat, ist der angegriffenen Entscheidung nicht zu entnehmen. Das Oberlandesgericht hat sich insbesondere nicht mit dem derzeit für eine ungelernte Kraft erzielbaren Lohn bzw. den aktuellen Mindestlöhnen der verschiedenen Branchen auseinandergesetzt.

Aufnahme einer Nebentätigkeit kann zumutbar sein

Soweit sich der Beschwerdeführer zusätzlich gegen die Anrechnung fiktiver Einkünfte aus einer geringfügigen Nebentätigkeit wendet, ist seine Verfassungsbeschwerde dagegen unzulässig, weil er eine Verletzung seiner wirtschaftlichen Handlungsfreiheit nicht dargetan hat. Eine Obliegenheit zur Erzielung von Nebeneinkünften, die dem Unterhaltspflichtigen bei der Unterhaltsberechnung fiktiv zugerechnet werden können, ist nur dann anzunehmen, wenn und soweit ihm die Aufnahme einer weiteren Erwerbstätigkeit unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zumutbar ist und ihn nicht unverhältnismäßig belastet. Danach ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang es ihm unter Abwägung seiner besonderen Lebens- und Arbeitssituation sowie seiner gesundheitlichen Belastung mit der Bedarfslage des Unterhaltsberechtigten zugemutet werden kann, eine Nebentätigkeit auszuüben, und ob der Arbeitsmarkt entsprechende Nebentätigkeiten für den Betreffenden bietet. Die Darlegungs- und Beweislast liegt insoweit beim Unterhaltsverpflichteten. Der Beschwerdeführer hat nicht dargetan, dass und aus welchen Gründen ihm die Aufnahme einer Nebentätigkeit nicht möglich bzw. nicht zumutbar ist.

Gericht darf nicht ohne Prüfung des Einzelfalls auf volle Leistungsfähigkeit der Beschwerdeführer schließen

In den Verfahren 1 BvR 1530/11 und 1 BvR 2867/11 haben die Gerichte zwar zutreffend festgestellt, dass die Beschwerdeführer sich nicht ausreichend um eine Erwerbstätigkeit bemüht haben. Sie haben jedoch ebenfalls keine Feststellung dazu getroffen, auf welcher Grundlage sie zu der Auffassung gelangt sind, dass die Beschwerdeführer bei Einsatz ihrer vollen Arbeitskraft und bei Aufnahme einer ihren persönlichen Voraussetzungen entsprechenden Arbeit objektiv in der Lage wären, ein Einkommen in der zur Leistung des titulierten Unterhalts erforderlichen Höhe zu erzielen. Zu dieser Feststellung hätte es einer konkreten Prüfung unter Berücksichtigung der beruflichen Ausbildung der Beschwerdeführer, ihres Alters und ihrer krankheitsbedingten Einschränkungen sowie der tatsächlichen Gegebenheiten auf dem Arbeitsmarkt bedurft. Ohne diese konkrete Prüfung hätten die Gerichte nicht auf die volle Leistungsfähigkeit der Beschwerdeführer in Höhe des titulierten Kindesunterhalts schließen dürfen.

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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 09.07.2012
Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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