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Preußisches Obertribunal, Urteil vom 05.05.1859
- in: GA 7 (1859), 322 -
Rose-Rosahl-Fall: Zur Auswirkung des Personenirrtums (error in persona) auf die Strafbarkeit von Täter und Anstifter
Entlastet die Verwechslung des Mordopfers den Täter und seinen Anstifter?
Wie wirkt es sich aus, wenn jemand einen bestimmten Menschen töten will, aber bei der Tatausführung einen anderen Menschen trifft. Handelt es sich um einen unbeachtlichen error in persona, oder um ein beachtliches Fehlgehen der Tat (aberratio ictus)? Werden Täter und Anstifter wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts bestraft, oder nur wegen des Versuchs in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung? Ein vor dem Preußischen Obertribunal im Jahr 1859 verhandelter Mordfall führt in eine der klassischen Streitfragen des Strafrechts ein, die bis heute diskutiert wird.
Am 11.09.1858 findet der Zimmermann Schliebe auf dem Weg von Schliepzig nach Lieskau bei Halle den 17-jährige Gymnasiasten Ernst Harnisch tot an der Straße. Die Täter sind schnell ausgemacht: Es sind der Holzhändler Rosahl und einer seiner Arbeiter Namens Rose. Rosahl, der sich aus Holzgeschäften mit Schliebe von diesem übervorteilt glaubte, hatte Rose beauftragt, Schliebe zu töten. Er gab ihm Geld für eine Schusswaffe und erläuterte ihm den Tatplan. Für die Tötung versprach er ihm: "Ich gebe dir 300 Reichsthaler und 1 Thaler die Woche, wenn du ihn wegbringst." Am Tatabend wusste Rosahl, dass Schliebe den Weg von Schliepzig nach Lieskau entlanggehen würde und beauftragte Rose mit der Tatausführung. Dieser lauerte daraufhin dem Schliebe am Straßenrand auf. Als er Schritte kommen hörte, schoss er, ohne sich zuvor der Person zu vergewissern, auf die herankommende Person. Er schoss ein zweites mal auf ihn und zertrümmerte ihm mit dem Gewehrkolben den Schädel. Dass es nicht der Schliebe, sondern der Schüler Harnisch war, erfuhr er erst am nächsten Tag.
Unbeachtlichkeit des error in persona
Der Schwurgerichtshof zu Halle verurteilte Rose wegen Mordes und Rosahl wegen Teilnahme am
Vorsätzliche Tötung eines Menschen ist strafbar
Rose habe "vorsätzlich und mit Überlegung" einen Menschen getötet. Der
Lediglich Fehlgehen des Tatmittels (aberratio ictus) aus Sicht des Anstifters Rosahl?
Rosahl vertrat in dem Prozess die Auffassung, er habe keinen Anstiftervorsatz zur Tötung des Harnisch gehabt. Es liege ein von seiner Vorstellung abweichender Kausalverlauf vor, indem das Tatmittel - der ausführende Täter Rose - bei der Tat fehlgegangen sei (aberratio ictus). Es stelle sich die Frage, inwieweit der intellektuelle Urheber auch für alle Überschreitungen und Abweichungen des Täters verantwortlich werde. Der verwirklichte Erfolg - die Tötung Harnischs - sei zufällig und gegen seinen Willen eingetreten. Ihm könne kein verbrecherischer
Unbeachtlichkeit des Irrtums für den Anstifter
Das Gericht folgte der Auffassung der Verteidigung nicht: "Der Anstifter soll dem Strafgesetz verfallen, welches die auszuführende Tat bedroht. [...] Seine Strafbarkeit ist von der Tätigkeit des Angestifteten, in dessen Hand er die Ausführung gelegt und dessen Geschicktheit oder Ungeschicktheit er diese anvertraut hat, dergestalt abgängig, dass nur ein wirklicher Exzess ihm nicht zuzurechnen ist. Ein solcher wirklicher Exzess liegt aber da nicht vor, wo, wie hier, der gedungene Angestiftete, der Lohnmörder, nur durch
Rose glaubte, Schliebe zu töten -Qualitative Gleichwertigkeit von ausgeführter Tat und derjenigen, zu der angestiftet wurde
Rosahl habe den Rose angestiftet, den Schliebe zu töten - also denjenigen, den er als Schliebe erkennen würde. Dies habe Rose getan: "Er hat den Schliebe, dem er auflauerte, in der ihm entgegenkommenden Person erkannt und diese Person getötet." Die Personenverwechslung sei "Ungeschicklichkeit des Angestifteten in der Ausführung" gewesen, welche den Anstifter von der vollen Verantwortlichkeit für den eingetretenen Erfolg nicht befreie, weil darin seine eigene Entschließung liege, also ein wahrer Exzess nicht vorhanden sei. "Vielmehr ist eine mit der aufgetragenen Handlung - einem
Rechtlicher Meinungsstreit bis heute
Bis heute werden die im Rose-Rosahl-Fall abgehandelten Fragen zur Irrtumsproblematik in Wissenschaft und Rechtsprechung kontrovers diskutiert. Der Bundesgerichtshof hält an der Rechtsprechung des Preußischen Obertribunals im Wesentlichen fest. Richtungsweisend ist der sogenannte "Hoferbenfall", der eine dem Rose-Rosahl-Fall erstaunlich ähnliche Sachverhaltskonstellation aufweist und im Oktober 1990 entschieden wurde.
Grabdenkmal und Blutstein: Persönliches Schicksal in historischem Ereignis
Von dem historischen Verbrechen kündet bis heute der als "Blutstein" oder "Mörderstein" bekannte Gedenkstein an der Stelle, an der Ernst Harnisch - das irrtümliche Mordopfer - tot aufgefunden wurde: "Hier fiel durch Mörderhand am 11. September 1858 Ernst Heinrich Harnisch". Vom persönlichen Unglück Harnischs kündet sein Grabdenkmal an der Lieskauer Kirche: "Statt des Nächsten traf mich Armen, in der Nacht des Mörders Hand. Schaut das göttliche Erbarmen, welchen Wunderweg es fand: Mein Tod war für ihn das Leben, mir fiel zu das ew'ge Gut, das der Sünder hat gegeben, Jesus Christus durch sein Blut."
Die Entscheidung ist aus dem Jahr 1859 und erscheint im Rahmen der Reihe "Urteile, die Rechtsgeschichte geschrieben haben".
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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 24.03.2011
Quelle: ra-online (vt/we), GA 7, 322
- Hoferben-Fall: Irrtum über die Person des Mordopfers wirkt sich nicht auf die Strafbarkeit von Täter und Anstifter aus
(Bundesgerichtshof, Urteil vom 25.10.1990
[Aktenzeichen: 4 StR 371/90]) - Sirius-Fall: BGH zur Abgrenzung zwischen Tötung in mittelbarer Täterschaft und strafloser Teilnahme an Selbsttötung
(Bundesgerichtshof, Urteil vom 05.07.1983
[Aktenzeichen: 1 StR 168/83])
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Dokument-Nr. 11078
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