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Staatsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.08.2013
1 VB 65/13 -

Verfassungs­beschwerde gegen Rundfunk­beitrags­staats­vertrag derzeit unzulässig

Mögliche Verfassungs­widrigkeit des Staatsvertrags wegen des Fehlens einer speziellen Ausnahmeregelung ist zunächst von den Verwaltungs­gerichten zu klären

Der Staatsgerichtshof Baden-Württemberg hat die Verfassungs­beschwerde einer privaten Beschwerdeführerin gegen den neuen geräteunabhängigen einheitlichen Rundfunkbeitrag als unzulässig zurückgewiesen. Die Beschwerdeführerin muss zunächst den Rechtsweg vor den Verwaltungs­gerichten beschreiten. Dort ist zu prüfen, ob die von der Beschwerdeführerin aufgeworfenen verfassungs­rechtlichen Zweifel am einheitlichen Rundfunkbeitrag für Radio und Fernsehen zu einer teilweisen Befreiung von den Beiträgen führen können.

Die Beschwerdeführerin des zugrunde liegenden Streitfalls wendet sich dagegen, dass sie – obwohl sie seit Jahrzehnten grundsätzlich nur das Hörfunk-, und nicht auch das Fernsehangebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Anspruch nimmt – seit dem 1. Januar 2013 auf der Grundlage des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages zu einem einheitlichen Rundfunkbeitrag von 17,98 Euro pro Monat herangezogen wird.

Vor Einreichen einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz muss sich Fachgerichte mit dem Anliegen befassen

Der Staatsgerichtshof Baden-Württemberg entschied nun, dass der Verfassungsbeschwerde, soweit sich die Beschwerdeführerin gegen den Beitragsanteil für Fernsehen wendet, der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegenstehe. Auch wenn es unmittelbar gegen Parlamentsgesetze wie das Umsetzungsgesetz des Landes Baden Württemberg, mit dem der Fünfzehnte Rundfunkänderungsstaatsvertrag und der darin enthaltene Rundfunkbeitragsstaatsvertrag in Landesrecht überführt wurden, keinen fachgerichtlichen Rechtsschutz gibt, folge aus dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, dass sich vor einer Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers gegen ein Gesetz die Fachgerichte mit seinem Anliegen befassen müssen. Damit solle neben einer Entlastung des Staatsgerichtshofs erreicht werden, dass der Staatsgerichtshof nicht auf ungesicherter Tatsachen und Rechtsgrundlage weitreichende Entscheidungen treffe. Von dieser Voraussetzung zur Erschöpfung des fachgerichtlichen Rechtswegs könne ausnahmsweise abgesehen werden, wenn die Verfassungsbeschwerde von allgemeiner Bedeutung sei oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde. Darüber hinaus sei die Beschreitung eines fachgerichtlichen Rechtswegs dann nicht geboten, wenn dies für den Beschwerdeführer aus sonstigen Gründen unzumutbar sei, insbesondere wenn sie offensichtlich aussichtlos erscheine.

Befreiung von der Beitragspflicht in besonderen Härtefällen auf gesonderten Antrag möglich

Ausgehend von diesen Maßstäben müsse die Beschwerdeführerin zunächst den Rechtsweg vor den Fachgerichten beschreiten. Von diesem Erfordernis könne hier nicht ausnahmsweise abgesehen werden. Nach § 4 Abs. 6 Satz 1 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages habe die Landesrundfunkanstalt in besonderen Härtefällen auf gesonderten Antrag von der Beitragspflicht zu befreien. Es sei nicht von vornherein ausgeschlossen, dass auf dieser Grundlage ein entsprechender Antrag der Beschwerdeführerin auf Ermäßigung ihres Beitrags um den Anteil für Fernsehen Erfolg haben könnte.

Von der Beschwerdeführerin aus verfassungsrechtlichen Gründen verlangte Beitragsermäßigung möglicherweise ausgeschlossen

Anders als nach dem zum 1. Januar 2013 aufgehobenen Rundfunkgebührenstaatsvertrag hänge die Zahlungspflicht nun jedoch nicht mehr von dem zum Empfang bereitgehaltenen Rundfunkempfangsgerät ab, sondern im privaten Bereich von der Inhaberschaft einer Wohnung. Dabei sehe der Staatsvertrag im privaten Bereich einen einheitlichen Rundfunkbeitrag vor, um die bisherigen gerätebezogenen Nachforschungen weitgehend überflüssig zu machen und die technische Konvergenz der heute in der Regel verwendeten Empfangsmedien zu berücksichtigen. Nach der Gesetzesbegründung könne die Beitragspflicht nicht durch den Einwand abgewendet werden, in der konkreten Wohnung erfolge keine Rundfunknutzung bzw. es existierten keine technischen Empfangseinrichtungen, weil davon auszugehen sei, dass grundsätzlich in ganz Deutschland technisch der Empfang von Rundfunk ermöglicht werden könne. Daher ist die von der Beschwerdeführerin aus verfassungsrechtlichen Gründen verlangte Ermäßigung auf der Grundlage des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages möglicherweise ausgeschlossen.

Rundfunkbeitrag stellt "Vorzugslast" und keine Steuer dar

Zu beachten sei jedoch, dass es sich auch nach der neuen Rechtslage bei dem "Rundfunkbeitrag" – wie bei der alten "Rundfunkgebühr" – nicht um eine Steuer, sondern um eine so genannte "Vorzugslast" handeln soll. Die Vorzugslast knüpfe an eine Gegenleistung, eine individuell zurechenbare Leistung an. Diese solle hier die Möglichkeit der Nutzung von Rundfunk sein, die bei der Inhaberschaft einer Wohnung vermutet werde. Legitimierender Grund für eine "Vorzugslast" sei unter anderem der Ausgleich von Vorteilen und Nachteilen. "Vorzugslasten" müssen unter anderem dem Äquivalenzprinzip genügen. Dieses sei eine Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und besage, dass Vorzuglasten – wie Gebühren und Beiträge – in keinem Missverhältnis zu der von der öffentlichen Gewalt gebotenen Leistung stehen dürfen. Demgegenüber unterscheide weder das Grundgesetz noch die Landesverfassung begrifflich zwischen einer „Gebühr“ und einem „Beitrag“. Verfassungsrechtlich sei lediglich eine Abgrenzung zur Steuer notwendig, weil diese gerade keine Gegenleistung für eine besondere Leistung des Staates darstelle.

Wohnungsinhaberschaft lässt auf bestehende Möglichkeit der Rundfunknutzung schließen

Die Inhaberschaft einer Wohnung stelle als solche jedoch noch nicht den Vorteil dar, den der Rundfunkbeitrag abschöpfen will. Vielmehr werde aufgrund der Wohnungsinhaberschaft vermutet, dass die Möglichkeit der Rundfunknutzung bestehe. Eine von der tatsächlichen Nutzbarkeit abhängige Entgeltabgabe fordere jedoch einen widerlegbaren Wahrscheinlichkeitsmaßstab, bei dem ein nach den tatsächlichen Verhältnissen nicht Nutzungsfähiger oder ein Nichtempfänger des Angebots die gesetzliche Vermutung widerlegen, sich insoweit von der Beitragspflicht befreien kann. Das Bundesverfassungsgericht habe bezüglich der alten gerätebezogenen Rundfunkgebühren entschieden, dass es gerechtfertigt sei, wenn die Gebührenpflicht ohne Rücksicht auf die Nutzungsgewohnheiten der Empfänger allein an den Teilnehmerstatus geknüpft werde, der durch die Bereithaltung eines Empfangsgerätes begründet wird. Der Leistungsbezug wurde damals durch das Bereithalten eines Rundfunkempfangsgerätes begründet. Dieser Tatbestand stehe jedoch in einer engeren Verbindung mit der Nutzungsmöglichkeit von Rundfunk als die bloße Inhaberschaft einer Wohnung.

Ob vor diesem Hintergrund verfassungsrechtlich zulässig auch demjenigen die Widerlegung der Nutzungsvermutung versagt werden könne, der einen erheblichen Teil des Rundfunkangebots – nämlich das Fernsehen – generell bewusst nicht nutzt und dies nachweisen könne, sei in der verfassungsrechtlichen Literatur umstritten.

Verwaltungsgerichte müssen Anforderungen an Nachweis der Nichtnutzung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks klären

Diese offene Frage, für die nicht nur verfassungsrechtliche, sondern auch einfachrechtliche Erwägungen maßgeblich sind, sowie die sich im Falle der Zulässigkeit der Widerlegung der Nutzungsvermutung weiter stellende Frage, ob die bestehende Härtefallklausel des § 4 Abs. 6 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages hierfür im Wege der Auslegung herangezogen werden könne oder ob der Staatsvertrag wegen des Fehlens einer speziellen Ausnahmeregelung verfassungswidrig sei, sei zunächst von den Verwaltungsgerichten zu klären. Diese seien in besonderer Weise zur Auslegung des einfachen Rechts, wozu auch der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag gehört, berufen. Zudem könne dort gegebenenfalls besser geklärt werden, welche Anforderungen an den Nachweis der Nichtnutzung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu stellen sind.

Erfüllen der Voraussetzungen für einen Härtefall kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden

Erwägungen, mit denen bei der Erhebung von Gebühren und Beiträgen aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung eine Typisierung und Pauschalierung und damit eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt werden könne, stehen dem Einwand eines Beitragsschuldners, er nehme am Rundfunk nicht teil, jedenfalls nicht grundsätzlich entgegen. Eine Typisierung und Pauschalisierung sei unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nur zulässig, wenn die dadurch hervorgerufenen Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären, sie lediglich eine kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv wäre. Es sei nicht von vornherein ausgeschlossen, dass Rundfunkverweigerer diese Voraussetzungen für einen Härtefall erfüllen.

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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 23.08.2013
Quelle: Staatsgerichtshof Baden-Württemberg/ra-online

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