Hier beginnt die eigentliche Meldung:
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 06.02.2013
- 2 BvR 2122/11 und 2 BvR 2705/11 -
Nachträgliche Sicherungsverwahrung im Anschluss an psychiatrische Unterbringung nur unter engen Voraussetzungen
Nachträgliche Sicherungsverwahrung nur bei hochgradiger Gefahr gerechtfertigt
Bis zum Inkrafttreten der erforderlichen gesetzlichen Neuregelung, längstens jedoch bis 31. Mai 2013, darf die nachträgliche Sicherheitsverwahrung nur noch ausgesprochen werden, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist und dieser an einer psychischen Störung leidet. Die genannten Grundsätze gelten auch dann, wenn der Betroffene zuvor in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht war. In diesen Fällen wird nicht lediglich eine unbefristete Maßregel durch eine andere ersetzt, sondern es handelt sich bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung um einen neuen, eigenständigen Grundrechtseingriff. Erfolgt dieser auf der Grundlage eines Gesetzes, das im Zeitpunkt der Verurteilung wegen der Anlasstaten noch nicht in Kraft getreten war, kommt den betroffenen Vertrauensschutzbelangen ein besonders hohes Gewicht zu. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht.
Der Entscheidung liegen die folgenden Erwägungen zugrunde:
Vorschrift verstößt gegen Abstandsgebot
1. § 66 b des Strafgesetzbuches (StGB) regelt die
Beschwerdeführer wenden sich gegen Fortdauer der Sicherungsverwahrung
2. Mit den Verfassungsbeschwerden wenden sich die Beschwerdeführer gegen die Fortdauer der Sicherungsverwahrung, die nach Erledigung ihrer
Anordnung der Sicherungsverwahrung ersetzt unbefristete freiheitsentziehende Maßregel durch eine andere
a) Der Beschwerdeführer des Verfahrens 2 BvR 2122/11 befand sich nach vollständiger Verbüßung der Freiheitsstrafe wegen mehrerer sexuell motivierter
Nachträgliche Sicherungsverwahrung auf Bewährung nicht genehmigt
b) Der Beschwerdeführer des Verfahrens 2 BvR 2705/11 war ebenfalls wegen mehrerer sexuell motivierter
Entschädigung aufgrund Individualbeschwerde
c) Eine vorherige Verfassungsbeschwerde beider Beschwerdeführer gegen die ursprüngliche Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung war nicht zur Entscheidung angenommen worden (BVerfGK 16, 98). Beide Beschwerdeführer erhoben hieraufhin Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der ihnen wegen Verstoßes gegen Art. 7 Abs. 1 EMRK eine Entschädigung zugesprochen hat (Urteil vom 7. Juni 2012, Beschwerde-Nr. 65210/09 bzw. 61827/09).
Beschlüsse verletzen Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht auf Freiheit
3. Die Verfassungsbeschwerden sind begründet. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht auf Freiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2) in Verbindung mit dem Vertrauensschutzgebot (Art. 20 Abs. 3 GG).
Eingriff und grundrechtlich geschütztes Vertrauen
a) Die durch § 66 b StGB ermöglichte
Nachträgliche Sicherungsverwahrung beinhaltet neuen Grundrechtseingriff
b) Demgegenüber kann nicht darauf verwiesen werden, dass bei der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung lediglich eine „Überweisung“ von einer zeitlich nicht begrenzten freiheitsentziehenden Maßnahme in eine andere stattfinde und daher Vertrauensschutzbelange nur nachrangig berührt seien. Die Sicherungsverwahrung im Anschluss an die
Rechtfertigung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Vorliegen psychischer Störung möglich
c) Das Gewicht der betroffenen Vertrauensschutzbelange wird durch die Wertungen der Europäischen Menschenrechtskonvention verstärkt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mit seinen Urteilen vom 7. Juni 2012 festgestellt, dass die
Aussprache nachträglicher Sicherungsverwahrung nur bei großer bestehender Gefahr
Damit bestätigen die Wertungen der Europäischen Menschenrechtskonvention, dass sich das Gewicht des Vertrauens der Betroffenen auf ein Unterbleiben der Sicherungsverwahrung in Altfällen einem absoluten
Über Fortdauer der nachträglichen Sicherungsverwahrung muss neu entschieden werden
d) Das Oberlandesgericht wird deshalb nach Maßgabe der Übergangsregelung aus dem Urteil vom 4. Mai 2011 erneut über die Fortdauer der nachträglichen Sicherungsverwahrung zu befinden haben.
Werbung
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 27.02.2013
Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online
- Kein Strafe ohne Gesetz: EGMR erklärt nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung für unzulässig
(Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 07.06.2012
[Aktenzeichen: 61827/09 und 65210/09]) - Ex-Sicherungsverwahrte erhalten wegen überlanger Sicherungsverwahrung Entschädigungszahlungen
(Landgericht Karlsruhe, Urteil vom 24.04.2012
[Aktenzeichen: 2 O 278/11, 2O 279/11, 2 O 316/11, 2 O 330/11]) - BGH zur Anwendbarkeit der Sicherungsverwahrung in der Übergangszeit bis zur gesetzlichen Neuregelung
(Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.10.2011
[Aktenzeichen: 2 StR 305/11])
Urteile sind im Original meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst kostenlose-urteile.de alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.
Dokument-Nr. 15316
Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://www.kostenlose-urteile.de/Beschluss15316
Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.
Senden Sie uns diese Entscheidungen doch einfach für kostenlose-urteile.de zu. Unsere Redaktion schaut gern, ob sich das Urteil für eine Veröffentlichung eignet.