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Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 04.06.2013
- C-300/11 -
EU-Bürgern müssen Gründe für Einreiseverbot in EU-Mitgliedsstaat bei Gefährdung der öffentlichen Sicherheit nicht im Detail dargelegt werden
EuGH zum Umfang der Begründungspflicht eines EU-Mitgliedsstaats bei Erteilung eines Einreiseverbots aus Gründen der öffentlichen Sicherheit
Wird einem Bewohner eines EU-Mitgliedsstaates die Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verboten, ist ihm der wesentliche Inhalt der Begründung für diese Entscheidung mitzuteilen. Ein Mitgliedstaat kann es allerdings im Rahmen des unbedingt Erforderlichen ablehnen, dem Betroffenen Gründe mitzuteilen, deren Offenlegung die Sicherheit des Staates beeinträchtigen könnte. Dies geht aus einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union hervor.
Die Angehörigen eines Mitgliedstaats können in das Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten einreisen und sich unter bestimmten Voraussetzungen dort aufhalten. Ein Mitgliedstaat kann ihnen jedoch dieses Recht aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit verweigern.
Hintergrund
Im Vereinigten Königreich können Verwaltungsentscheidungen, mit denen die Einreise in das nationale Hoheitsgebiet verboten wird und die auf der Grundlage von Informationen erlassen wurden, deren Offenlegung die nationale Sicherheit beeinträchtigen könnte, bei der Special Immigration Appeals Commission (Sonderkommission für Rechtsbehelfe in Einwanderungssachen, im Folgenden: SIAC) angefochten werden. Im Rahmen des Verfahrens vor der SIAC haben weder die Person, die eine solche Entscheidung angefochten hat, noch ihre persönlichen Rechtsanwälte Zugang zu den Informationen, auf die die Entscheidung gestützt wurde, wenn ihre Offenlegung dem öffentlichen Interesse widerspräche. In einem derartigen Fall wird jedoch ein spezieller Anwalt, der Zugang zu diesen Informationen hat, bestellt, um die Interessen der betroffenen Person vor der SIAC zu vertreten. Der spezielle Anwalt darf indessen ab dem Zeitpunkt, zu dem ihm Material mitgeteilt wird, dessen Offenlegung der Secretary of State, die in dem Bereich zuständige britische Stelle, widerspricht, mit dem Betroffenen nicht mehr über mit dem Verfahren zusammenhängende Fragen kommunizieren. Er kann jedoch bei der SIAC Verfügungen beantragen, mit denen eine entsprechende Kommunikation gestattet wird.
Secretary of State erlässt Einreiseverbot gegen ZZ
ZZ besitzt die französische und die algerische Staatsangehörigkeit. Er ist seit 1990 mit einer britischen Staatsangehörigen verheiratet, mit der er acht Kinder hat. Von 1990 bis 2005 war ZZ rechtmäßig im Vereinigten Königreich wohnhaft. Nachdem er das Vereinigte Königreich verlassen hatte, hob der Secretary of State jedoch im August 2005 sein Aufenthaltsrecht mit der Begründung auf, dass seine Anwesenheit dem öffentlichen Interesse zuwiderlaufe. Im September 2006 reiste ZZ in das Vereinigte Königreich, wo der Secretary of State eine Entscheidung erließ, mit der ihm die Einreise verboten wurde.
ZZ erhebt Klage gegen Einreiseverbot
ZZ erhob bei der SIAC eine Klage gegen die Entscheidung über das
SIAC geht von Beteiligung ZZs an terroristischen Tätigkeiten aus
Die SIAC wies die Klage ab und erließ ein "vertrauliches" Urteil mit einer umfassenden Begründung und ein "öffentliches" Urteil mit einer Zusammenfassung der Begründung, wobei ZZ nur das Letztere übermittelt wurde. Aus dem "öffentlichen" Urteil geht hervor, dass die SIAC aus Gründen, die in dem "vertraulichen" Urteil erläutert werden, überzeugt ist, dass ZZ an Tätigkeiten des Netzes der Bewaffneten Islamischen Gruppe (Groupe islamique armé, GIA) und an terroristischen Tätigkeiten in den Jahren 1995 und 1996 beteiligt gewesen sei.
Nationales Gericht erbittet Entscheidung des EuGH zum Umfang der Auskunftspflicht der SIAC
ZZ legte gegen das Urteil der SIAC Berufung beim Court of Appeal (England & Wales) (Berufungsgericht, Vereinigtes Königreich) ein, der dem Gerichtshof die Frage vorlegt, inwieweit die SIAC verpflichtet ist, dem Betroffenen die Gründe der öffentlichen Sicherheit mitzuteilen, die einer Entscheidung über ein
Einreiseverbot muss grundsätzlich schriftlich und nachvollziehbar mitgeteilt werden
In seinem Urteil weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass nach der Richtlinie 2004/38* eine Entscheidung über ein
Verweigerung der Mitteilung über Details des Einreiseverbots bedarf einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle
In diesem Zusammenhang präzisiert der Gerichtshof, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, eine wirksame gerichtliche Kontrolle sowohl der Begründetheit der Entscheidung über das
Verweigerung der Offenlegung der Gründe für Einreiseverbot aufgrund von Vermutungen nicht ausreichend
Insoweit hebt der Gerichtshof hervor, dass die zuständige nationale Behörde den Nachweis dafür zu erbringen hat, dass die Sicherheit des Staates tatsächlich beeinträchtigt würde, wenn dem Betroffenen die Gründe genau und umfassend mitgeteilt würden. Folglich gibt es keine Vermutung zugunsten des Vorliegens und der Stichhaltigkeit der Gründe, die eine nationale Behörde anführt, um die Offenlegung dieser Gründe zu verweigern. Wenn das Gericht unter diesen Umständen zu dem Schluss kommt, dass die Sicherheit des Staates es nicht verwehrt, dass die Gründe, die einer Entscheidung über ein
Betroffener hat Anspruch, wesentliche Inhalt der Gründe für das Einreisverbot mitgeteilt zu bekommen
Zeigt sich dagegen, dass die Sicherheit des Staates der Mitteilung der entsprechenden Gründe an den Betroffenen tatsächlich entgegensteht, hat die gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Entscheidung über das
Offenlegung von Gründen könnte Sicherheit des Staates unmittelbar und besonders beeinträchtigen
Der Gerichtshof weist auch darauf hin, dass die Abwägung zwischen dem Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz und der Notwendigkeit, den Schutz der Sicherheit des fraglichen Staates zu gewährleisten, nicht in gleicher Weise für die Beweise gilt, die den vor dem zuständigen nationalen Gericht geltend gemachten Gründen zugrunde liegen. In bestimmten Fällen kann nämlich die Offenlegung dieser Beweise die Sicherheit des Staates insoweit unmittelbar und besonders beeinträchtigen, als sie insbesondere das Leben, die Gesundheit oder die Freiheit von Personen gefährden könnte oder die von den nationalen Sicherheitsbehörden speziell angewandten Untersuchungsmethoden enthüllen und damit die zukünftige Erfüllung der Aufgaben dieser Behörden ernsthaft behindern oder sogar unmöglich machen könnte.
Nationales Gericht muss zwischen erforderlicher Geheimhaltung der Gründe und möglichen Konsequenzen aus eventuellen Missachtung der Mitteilungspflicht sorgsam abwägen
Schließlich führt der Gerichtshof aus, dass es Sache des Gerichts des Vereinigten Königreichs ist, zum einen dafür zu sorgen, dass dem Betroffenen der wesentliche Inhalt der Gründe, auf denen die fragliche Entscheidung beruht, in einer Weise mitgeteilt wird, die die erforderliche Geheimhaltung der Beweise gebührend berücksichtigt, und zum anderen die Konsequenzen aus einer eventuellen Missachtung dieser Mitteilungspflicht zu ziehen.
Erläuterungen
* - Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158, S. 77, und – Berichtigung – L 229, S. 35).
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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 05.06.2013
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online
Jahrgang: 2014, Seite: 282, Entscheidungsbesprechung von Rudolf Streinz JuS 2014, 282 (Rudolf Streinz)
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Dokument-Nr. 15989
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