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Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 12.07.2012
- C-59/11 -
Richtlinien über den Verkehr mit Gemüsesaatgut gültig
Interessen der Verkäufer "alter Sorten" ausreichend berücksichtigt
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat die Richtlinien über den Verkehr mit Gemüsesaatgut für gültig erklärt. Da die Richtlinien auch das Inverkehrbringen "alter Sorten" unter bestimmten Voraussetzungen erlauben, werden nämlich auch die wirtschaftlichen Interessen der Verkäufer dieser „alten Sorten“ berücksichtig.
Die Richtlinie über den Verkehr mit Gemüsesaatgut* macht das Inverkehrbringen dieses Saatguts von der vorherigen Zulassung der entsprechenden Sorten in mindestens einem Mitgliedstaat abhängig. Außerdem wird eine Sorte nur dann zu den amtlichen Katalogen der Mitgliedstaaten zugelassen, wenn sie unterscheidbar**, beständig** und hinreichend homogen** ist. Allerdings sieht eine andere Richtlinie*** bestimmte Ausnahmen von dieser Regelung der Zulassung zu den nationalen Katalogen vor, die „Erhaltungssorten“**** und „für den Anbau unter besonderen Bedingungen gezüchtete Sorten“***** betreffen. Diese „alten Sorten“ können nämlich unter bestimmten Voraussetzungen auch dann angebaut und in den Verkehr gebracht werden, wenn sie die allgemeinen Anforderungen für die Zulassung zu den amtlichen Katalogen nicht erfüllen.
Nationales Gericht rügt unlautere Wettbewerbshandlungen durch Saatgutunternehmen
Mit Urteil vom 14. Januar 2008 verurteilte das Tribunal de grande Instance de Nancy (Frankreich) die Vereinigung ohne Erwerbszweck Kokopelli dazu, dem Saatgutunternehmen Graines Baumaux Schadensersatz wegen unlauteren Wettbewerbs zu zahlen. Dieses Gericht stellte fest, dass Kokopelli und Baumaux im Bereich alten oder Kollektionssaatguts tätig seien, in 233 Fällen identische oder ähnliche Erzeugnisse vertrieben und sich an dieselbe Kundschaft von Hobbygärtnern wendeten und daher in Wettbewerb miteinander stünden. Das Gericht kam infolgedessen zu dem Schluss, dass Kokopelli unlautere Wettbewerbshandlungen dadurch vornehme, dass sie
Französisches Gericht erbittet Vorabentscheidung des EuGH zur Gültigkeit der Richtlinie über das Inverkehrbringen von Gemüsesaatgut
Kokopelli legte gegen dieses Urteil Berufung bei der Cour d’appel de Nancy ein, die den Gerichtshof nach der Gültigkeit der Richtlinie über den Verkehr mit Gemüsesaatgut und der Richtlinie mit Ausnahmeregelungen für „Erhaltungssorten“ und „für den Anbau unter besonderen Bedingungen gezüchtete Sorten“ fragt.
EuGH erklärt Richtlinien für gültig
Mit seinem Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass die Gültigkeit der beiden Richtlinien weder durch bestimmte Grundsätze des Unionsrechts noch durch die von der Union eingegangenen Verpflichtungen aus dem Internationalen Vertrag über pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und
Zulassungsregelung erlaubt Verwendung geeigneten Saatguts und damit gesteigerte Produktivität der Landwirtschaft
So weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass der Grundsatz der
Außerdem kann diese Zulassungsregelung zur Verwirklichung des zweiten Zieles, der Errichtung des Binnenmarkts für Gemüsesaatgut, dadurch beitragen, dass sie dessen freien Verkehr innerhalb der Union gewährleistet. Eine solche Regelung garantiert nämlich, dass
Zusätzlich ist die für die „Erhaltungssorten“ und die „für den Anbau unter besonderen Bedingungen gezüchteten Sorten“ umgesetzte abweichende Zulassungsregelung geeignet, die Erhaltung der pflanzengenetischen Ressourcen – das dritte Ziel des Unionsrechts – zu gewährleisten.
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit durch Zulassung von Gemüsesaatgut nicht verletzt
Daher stellt der Gerichtshof fest, dass die Regelung für die Zulassung von Gemüsesaatgut nicht über das zur Erreichung dieser Ziele Erforderliche hinausgeht. Durch die Pflicht zur Aufnahme in die amtlichen Kataloge und die damit verbundenen Zulassungskriterien lässt sich sicherstellen, dass
Liberalisierung des Marktes für Saatgut der „alten Sorten“ nicht beabsichtigt
Anschließend weist der Gerichtshof darauf hin, dass die fraglichen Richtlinien die wirtschaftlichen Interessen von Wirtschaftsteilnehmern wie Kokopelli, die „alte Sorten“ zum Verkauf anbieten, die die Voraussetzungen für die Zulassung zu den amtlichen Katalogen nicht erfüllen, berücksichtigen, indem sie das Inverkehrbringen dieser Sorten nicht ausschließen. Zwar sind geographische, mengenmäßige und die Verpackung betreffende Beschränkungen für
Grundsätze der Gleichbehandlung und des freien Warenverkehrs gewahrt
Im Übrigen stellt der Gerichtshof fest, dass die streitigen Richtlinien weder die Grundsätze der Gleichbehandlung, der freien Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit und des freien Warenverkehrs noch die Verpflichtungen der Union aus dem Internationalen Vertrag über pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und
Erläuterungen
* - Richtlinie 2002/55/EG des Rates vom 13. Juni 2002 über den Verkehr mit Gemüsesaatgut (ABl. L 193, S. 33).
** - Eine Sorte ist unterscheidbar, wenn sie sich ohne Rücksicht darauf, ob das Ausgangsmaterial, aus dem sie entstanden ist, künstlichen oder natürlichen Ursprungs ist, durch ein oder mehrere wichtige Merkmale deutlich unterscheidet von jeder anderen in der Gemeinschaft bekannten Sorte.
Eine Sorte ist beständig, wenn sie nach ihren aufeinanderfolgenden Vermehrungen oder, wenn der Züchter einen besonderen Vermehrungszyklus festgelegt hat, am Ende eines jeden Zyklus in ihren wesentlichen Merkmalen ihrem Sortenbild entspricht.
Eine Sorte ist hinreichend homogen, wenn die Pflanzen, aus denen sie sich zusammensetzt – von wenigen Abweichungen abgesehen –, unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Vermehrung der Pflanzen in Bezug auf alle zu diesem Zweck festgelegten Merkmale ähnlich oder in genetischer Hinsicht identisch sind.
*** - Richtlinie 2009/145/EG der Kommission vom 26. November 2009 mit Ausnahmeregelungen für die Zulassung von Gemüselandsorten und anderen Sorten, die traditionell an besonderen Orten und in besonderen Regionen angebaut werden und von genetischer Erosion bedroht sind, sowie von Gemüsesorten, die an sich ohne Wert für den Anbau zu kommerziellen Zwecken sind, aber für den Anbau unter besonderen Bedingungen gezüchtet werden, sowie für das Inverkehrbringen von Saatgut dieser Landsorten und anderen Sorten (ABl. L 312, S. 44).
**** - „Erhaltungssorten“ sind Gemüselandsorten und andere Sorten, die traditionell an besonderen Orten und in besonderen Regionen angebaut werden und von genetischer Erosion bedroht sind.
***** - „Für den Anbau unter besonderen Bedingungen gezüchtete Sorten“ sind Sorten, die an sich ohne Wert für den Anbau zu kommerziellen Zwecken sind, aber für den Anbau unter besonderen Bedingungen gezüchtet werden.
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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 16.07.2012
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online
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Dokument-Nr. 13796
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