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Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 01.03.2023
L 2 SO 204/23 ER-B -

Gehörlose Schülerin hat Anspruch auf Gebärdendolmetscher auch in einer Schule für Menschen mit Hörbehinderung

Bei unzureichender Leistungserbringung durch Schule ist Sozialhilfeträger zur Erbringung erforderlicher Leistungen verpflichtet

Das Landessozialgericht hat in einem Eilverfahren entschieden, dass der Landkreis Reutlingen einer gehörlosen Schülerin einen Gebärdendolmetscher zur Seite stellen muss.

Die antragstellende Schülerin besucht ein Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum mit Förderschwerpunkt Hören. Sie kommuniziert in der Deutschen Gebärdensprache (DGS). Allerdings sind nicht alle Lehrkräfte in ihrer Schule gleichermaßen gebärdenkompetent, sodass sie oft nicht verstanden wird. Hinzu kommt, dass die Lehrkräfte ihre eigenen lautsprachlichen Äußerungen und ggfs. auch lautsprachliche Äußerungen der Mitschüler in DGS übersetzen müssen, damit die Antragstellerin sie versteht. Eine solche Doppelrolle als Gesprächsführer und Dolmetscher verzögert den Unterrichtsverlauf, sodass lautsprachliche Äußerungen für die Antragstellerin nur zusammengefasst wiedergegeben werden. Dies erschwert ihre Teilnahme am Unterricht.

Landkreis muss vorläufig Assistenz durch einen Gebärdendolmetscher gewähren

Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat in einem Eilverfahren den Landkreis Reutlingen verpflichtet, einer gehörlosen 13-jährigen Schülerin vorläufig 16 Stunden Assistenz durch einen Gebärdendolmetscher wöchentlich (zu einem voraussichtlichen Stundensatz von € 85,00) zu gewähren. Das LSG hat seine Entscheidung damit begründet, auf jeden Fall sei die Übertragung lautsprachlicher Äußerungen, insbesondere anderer Schüler, durch einen Gebärdendolmetscher eine Aufgabe der Eingliederungshilfe. Das Dolmetschen gehöre nicht zum pädagogischen Kernbereich, der Wissensvermittlung, sondern sichere die eigentliche Arbeit der Lehrkraft nur ab. Dass die Antragstellerin durch das Dolmetschen auch ihre Kenntnisse in der DGS verbessere, sei nur ein Nebeneffekt. Es könne letztlich auch nicht verlangt werden, dass andere Schüler für die Antragstellerin dolmetschten.

Eingliederungshilfe auch für Vermittlung des Gebärdendolmetschers zuständig

Ferner weist das LSG darauf hin, dass die Vermittlung der DGS an gehörlose Schüler zwar eine Leistung der Schule sei, die aber zurzeit nicht ausreichend erbracht werde. Daher sei auch für diese Aufgabe, allerdings nur nachrangig, die Eingliederungshilfe zuständig. Insoweit, so das LSG am Rande, ständen dem Landkreis wegen der Kosten des Gebärdendolmetschers möglicherweise Regressansprüche zu. Eine endgültige Entscheidung, ob der Landkreis Reutlingen als Träger der Eingliederungshilfe die Kosten des Gebärdendolmetschers tragen muss, wird erst in einem Hauptsacheverfahren (Klageverfahren) vor dem Sozialgericht Reutlingen ergehen.

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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 08.06.2023
Quelle: Landessozialgericht Baden-Württemberg, ra-online (pm/ab)

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