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Sozialgericht Berlin, Urteil vom 27.09.2013
S 181 VG 167/1 -

Entschädigungsrente für DDR-Dopingopfer

Verabreichung von Dopingmitteln durch den Trainer an eine 16-Jährige stellt vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff dar

Die Verabreichung von Dopingmitteln durch den Trainer einer DDR- Kinder- und Jugendsportschule an eine damals 16jährige Kanu­leistungs­sportlerin stellt einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff dar. Es ist - jedenfalls im konkreten Einzelfall - davon auszugehen, dass die Sportlerin über die wahre Bedeutung der ihr verabreichten Mittel bewusst im Unklaren gelassen wurde. Insofern lag auch keine Einwilligung in das Doping vor. Wegen der aus dem Dopinggebrauch resultierenden gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen ist der Sportlerin eine Rente nach dem Opfer­entschädigungs­gesetz zu gewähren. Dies entschied das Sozialgericht Berlin.

Dem Fall liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die 1968 geborene Klägerin aus Berlin besuchte von 1982 bis 1988 in der DDR eine Kinder- und Jugendsportschule, wo sie als Kanutin trainierte. Seit sie 16 Jahre alt war, verabreichte ihr ihr Trainer "blaue Pillen", die wohl den Wirkstoff Oral-Turinabol enthielten, und auch die Antibabypille. Die Medikamente bewirkten eine Zunahme der Muskelmasse und der körperlichen Leistungsfähigkeit. Zeitweise war die Klägerin sogar Mitglied der DDR-Nationalmannschaft.

Klägerin erkrankt an Brust- und Hautkrebs

Mit 32 Jahren erkrankte die Klägerin an Brust- und später auch an Hautkrebs. Weitere Krankheiten und Beschwerden, auch psychischer Art, folgten.

Bundesverwaltungsgericht gewährt finanzielle Einmalhilfe

Im Juni 2003 gewährte ihr das Bundesverwaltungsamt nach dem Dopingopfer-Hilfegesetz eine finanzielle Einmalhilfe von 6.000 Euro.

Landesamt für Gesundheit und Soziales lehnt Antrag auf Gewährung von Rente nach dem Opferentschädigungsgesetz ab

Im Juni 2006 beantragte die Klägerin beim Beklagten, dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) zusätzlich eine Rente nach dem Opferentschädigungsgesetz. Sie trug vor, dass sie niemals gewusst habe, Dopingsubstanzen einzunehmen. Ihr Trainer habe ihr die blauen Pillen mit dem Hinweis gegeben, es handele sich um Vitamine. Für ihre gesundheitlichen Schäden sei das Doping in der DDR ursächlich. Der Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, im konkreten Fall sei davon auszugehen, dass die damals immerhin schon 16jährige Klägerin in den Dopinggebrauch eingewilligt habe.

Sozialgericht entscheidet zugunsten der Klägerin

Im Juli 2007 hat die Klägerin hiergegen vor dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben. Das Gericht stellte umfangreiche Ermittlungen an, unter anderem durch Einholung mehrerer medizinischer Sachverständigengutachten. Auf die mündliche Verhandlung, in der die Klägerin auch persönlich angehört worden war, entschied das Sozialgericht Berlin (in der Besetzung mit einer Berufsrichterin und zwei ehrenamtlichen Richtern) durch Urteil teilweise zugunsten der Klägerin.

Trainer ließ Klägerin über verabreichte Substanzen bewusst im Unklaren

Von einer Einwilligung der Klägerin in den Gebrauch von Dopingmitteln könne nicht ausgegangen werden. Die Klägerin sei von ihrem Trainer bewusst im Unklaren gelassen geworden, um was für Substanzen es sich eigentlich handelte. Sie sei zwar bereit gewesen, leistungsfördernde Vitamine zu sich zu nehmen, habe aber keine Vorstellung von der eigentlichen Bedeutung der Präparate und deren möglichen Spätfolgen gehabt. Bei dieser Einschätzung sei sowohl das jugendliche Alter zum Zeitpunkt des Dopings zu berücksichtigen gewesen als auch die besonderen Umstände der Trainingssituation an einer DDR Jugendsportschule.

Gericht bejaht Kausalität zwischen Dopingeinnahme und Brustkrebserkrankung

Das Gericht gehe des weiteren von einer Kausalität zwischen der Dopingeinnahme und der Brustkrebserkrankung aus. Ein Zusammenhang zwischen dem Doping und weiteren Erkrankungen habe sich hingegen nicht mit der nötigen Sicherheit feststellen lassen.

Anspruch auf Entschädigungsrente besteht nur für Zeitraum mit Schädigungsfolgen mit einem Grad der Schädigung von 50

Ein Anspruch der Klägerin auf Entschädigungsrente bestehe allerdings nach der Gesetzeslage nur für den Zeitraum, in dem die Schädigungsfolgen einen Grad der Schädigung von 50 (vergleichbar einem Grad der Schwerbehinderung) ausgemacht haben. Dieser Zeitraum umfasse vorliegend ein halbes Jahr. Wegen des darüber hinaus geltend gemachten Anspruchs (also Leistungen für einen längeren Zeitraum aufgrund weiterer Schäden) sei die Klage abzuweisen gewesen.

Die streitentscheidenden Vorschriften stammen aus dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG)

§ 1 Abs. 1 Satz 1:

Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes … infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person … eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes.

§ 1 Abs. 2 Nr. 1:

Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 steht gleich die vorsätzliche Beibringung von Gift.

§ 2 Abs. 1 Satz 1:

Leistungen sind zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Anspruchstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren.

Gemäß § 10 a sind diese Vorschriften mit gewissen Einschränkungen auch auf schädigende Ereignisse in der DDR anwendbar.

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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 27.09.2013
Quelle: Sozialgericht Berlin/ra-online

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