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Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26.01.2017
BVerwG 3 C 21.15 -

BVerwG zur Entziehung der Fahrerlaubnis wegen des Erreichens von acht Punkten

Warn- und Erziehungsfunktion des gestuften Maßnahmensystems muss hinter Schutz der Verkehrssicherheit vor Mehrfachtätern zurücktreten

Das Bundes­verwaltungs­gericht hat entschieden, dass eine Fahrerlaubnis auch dann wegen des Erreichens von acht oder mehr Punkten zu entziehen ist, wenn dieser Punktestand bereits bei Verwarnung des Fahr­erlaubnis­inhabers gegeben, der Fahr­erlaubnis­behörde aber noch nicht bekannt war. Eine Verringerung des Punktestandes auf sieben Punkte, die vorgesehen ist, wenn die Fahr­erlaubnis­behörde einen Fahr­erlaubnis­inhaber trotz Erreichens von acht oder mehr Punkten erst noch verwarnen muss, kann in einem solchen Fall nicht beansprucht werden.

Der Kläger des zugrunde liegenden Rechtsstreits wandte sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis auf der Grundlage des Fahreignungs-Bewertungssystems (§ 4 StVG). Mit Bescheid vom 13. Februar 2015 entzog die Fahrerlaubnisbehörde dem Kläger, der mit Schreiben vom 21. Januar 2015 wegen des Erreichens von sieben Punkten im Fahreignungsregister verwarnt worden war, die Fahrerlaubnis; er habe mit einer am 10. März 2014 begangenen und mittlerweile auch rechtskräftig geahndeten Geschwindigkeitsüberschreitung neun Punkte erreicht und damit die Schwelle von acht Punkten überschritten, ab der er gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen gelte.

VG beanstandet nicht ordnungsgemäß durchlaufene Stufen des Maßnahmenkatalogs

Der hiergegen gerichteten Klage hat das Verwaltungsgericht Regensburg stattgegeben. Im Fall des Klägers seien die in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 bis 3 StVG vorgesehenen Stufen des Maßnahmenkatalogs (Ermahnung - Verwarnung - Fahrerlaubnisentziehung) nicht ordnungsgemäß durchlaufen worden; der zur Fahrerlaubnisentziehung führende Verkehrsverstoß sei zum Zeitpunkt der Verwarnung bereits begangen, rechtskräftig geahndet und auch im Fahrerlaubnisregister eingetragen gewesen. Deshalb verringere sich der Punktestand des Klägers auf sieben Punkte.

VGH weist Klage ab

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat dieses Urteil auf die Berufung des Beklagten geändert und die Klage abgewiesen. Eine Punktereduzierung nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG trete nur ein, wenn der Fahrerlaubnisbehörde beim Ergreifen der Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 StVG weitere Verkehrsverstöße, die zur nächsten Stufe des Maßnahmenkatalogs - hier der Fahrerlaubnisentziehung - führten, auch bereits bekannt gewesen seien. Hier habe die Fahrerlaubnisbehörde von der am 10. März 2014 begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung zum Zeitpunkt der Verwarnung noch nichts gewusst.

Maßgeblich für Rechtmäßigkeit einer Anordnung ist Kenntnistand der Fahrerlaubnisbehörde zum Zeitpunkt des Ergreifens dieser Maßnahme

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Der Gesetzgeber hat mit der Reform des Punktesystems und den dazu im Dezember 2014 in Kraft getretenen Änderungen die Warn- und Erziehungsfunktion des gestuften Maßnahmensystems des § 4 Abs. 5 StVG hinter den Schutz der Verkehrssicherheit vor Mehrfachtätern zurücktreten lassen. Ein Fahrerlaubnisinhaber kann nicht mehr mit Erfolg geltend machen, er habe den weiteren Verkehrsverstoß, der zum Überschreiten der Acht-Punkte-Grenze führe, bereits vor der Erteilung der Verwarnung begangen, so dass ihn deren Warnfunktion nicht mehr habe erreichen können. Maßgebend für die Rechtmäßigkeit einer Verwarnung und einer nachfolgenden Entziehung der Fahrerlaubnis ist nach der geänderten gesetzgeberischen Konzeption - insoweit in bewusster Abkehr vom sogenannten Tattagprinzip - der Kenntnistand, den die Fahrerlaubnisbehörde bei Ergreifen der jeweiligen Maßnahme hat. Gleiches gilt für die Punktereduzierung nach § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG. Auch sie tritt nur ein, wenn der Fahrerlaubnisbehörde die weiteren, zum Erreichen von acht oder mehr Punkten führenden Verkehrsverstöße bereits bei der Verwarnung bekannt waren. Der vom Gesetzgeber vorgenommene "Systemwechsel" ist verfassungsrechtlich im Hinblick auf das Rückwirkungsverbot und den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zu beanstanden.

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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 26.01.2017
Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online

Vorinstanzen:
  • Verwaltungsgericht Regensburg, Urteil vom 18.03.2015
    [Aktenzeichen: RO 8 K 15.249]
  • Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 11.08.2015
    [Aktenzeichen: 11 BV 15.909]
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Fundstellen in der Fachliteratur: Zeitschrift für Schadenrecht (zfs)
Jahrgang: 2017, Seite: 355
zfs 2017, 355

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Dokument-Nr.: 23762 Dokument-Nr. 23762

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