Hier beginnt die eigentliche Meldung:
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 22.10.2008
- 2 BvR 749/08 -
BVerfG setzt hohe Hürden für nachträgliche Sicherungsverwahrung – Annahme von erheblichen Straftaten und gegenwärtige Gefahr als Voraussetzung
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen Unterbringungsbefehl im Zusammenhang mit der Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung
Wenn nachträglich eine Sicherungsverwahrung angeordnet werden soll, reicht es nicht aus, dass "sexuelle Übergriffe" befürchtet werden. Es muss vielmehr angenommen werden, dass der in die nachträgliche Sicherungsverwahrung zu Nehmende mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer schädigen. "Sexuelle Übergriffe" müssen nicht notwendiger Weise erhebliche Straftaten sein, entschied das Bundesverfassungsgericht.
Der Beschwerdeführer wurde wegen Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch eines Kindes vom Landgericht zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Gleichzeitig wurde die
Der Beschwerdeführer legte gegen dieses Urteil Revision ein. Im März 2008 erließ das Landgericht einen Unterbringungsbefehl, gegen den der Verurteilte Beschwerde einlegte, die durch das Oberlandesgericht verworfen wurde. Zwischenzeitlich hob der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 3. September 2008 - 5 StR 281/08) auf die Revision des Beschwerdeführers das Urteil des Landgerichts auf und verwies die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an ein anderes Landgericht.
Verfassungsbeschwerde ist erfolgreich
Die
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
I. Die mit § 66 b Abs. 1 Satz 2 StGB einhergehende Erweiterung der Möglichkeiten zur nachträglichen Anordnung der Unterbringung in der
II. Die Auslegung und Anwendung des § 275 a Absatz 5 StPO in Verbindung mit § 66 Absatz 1 StGB in den angegriffenen Entscheidungen genügen allerdings den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. Die Auffassung des Landgerichts, es bestünden dringende Gründe für die Annahme, dass die
Gegenwärtige Gefahr muss vorliegen
1. Auf der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts im Unterbringungsbefehl und im - ergänzend heranzuziehenden - Urteil lässt sich zunächst die Gegenwärtigkeit der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr, wie sie von Verfassungs wegen zu fordern ist, nicht bejahen. Ein nur "mittel- oder langfristig" bestehendes Risiko, wie vom Landgericht festgestellt, genügt für den erheblichen Eingriff in das Freiheitsrecht des Beschwerdeführers nicht.
Hohe Wahrscheinlichkeit der Begehung erheblicher Straftaten, durch die Opfer schwer seelisch oder körperlich geschädigt werden, muss gegeben sein
2. Ferner fehlt es an einer tragfähigen Grundlage für den vom Landgericht gezogenen Schluss, dass der Beschwerdeführer mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Der Prognose der Sachverständigen, nach denen der Beschwerdeführer "sexuelle Übergriffe" begehen werde, hat sich das Landgericht zwar nachvollziehbar angeschlossen. "Sexuelle Übergriffe" sind aber nicht notwendig erhebliche Straftaten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Vielmehr versteht darunter auch das Landgericht eine große Bandbreite von Handlungen. Es liegt auf der Hand, dass es in einer solchen Konstellation erforderlich ist, spezifisch zur Wahrscheinlichkeit gerade der gesetzlich einzig bedeutsamen schweren Delikte Stellung zu nehmen. Insofern lässt sich dem Urteil und dem Unterbringungsbefehl jedoch nur entnehmen, dass diese "nicht auszuschließen" seien. Dass ein solcher geringer Wahrscheinlichkeitsgrad nicht genügt, hat das Bundesverfassungsgericht bereits ausdrücklich ausgesprochen und unterliegt angesichts des verfassungsrechtlich notwendigen Ausnahmecharakters der nachträglichen
Werbung
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 29.10.2008
Quelle: ra-online, BVerfG (pm)
Jahrgang: 2008, Seite: 1520 DVBl 2008, 1520 | Zeitschrift: Juristische Schulung (JuS)
Jahrgang: 2009, Seite: 164, Entscheidungsbesprechung von Michael Sachs JuS 2009, 164 (Michael Sachs)
Urteile sind im Original meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst kostenlose-urteile.de alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.
Dokument-Nr. 6911
Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://www.kostenlose-urteile.de/Beschluss6911
Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.
Senden Sie uns diese Entscheidungen doch einfach für kostenlose-urteile.de zu. Unsere Redaktion schaut gern, ob sich das Urteil für eine Veröffentlichung eignet.