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Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 27.03.2012
- 2 BvR 2258/09 -
Ausschluss der Anrechnung von Maßregelvollzugszeiten auf verfahrensfremde Freiheitsstrafen teilweise verfassungswidrig
Zeit des Maßregelvollzugs ist in Härtefällen bis zu einer Neuregelung durch Gesetzgeber auch auf verfahrensfremde Freiheitsstrafen anzurechnen
Das Bundesverfassungsgericht hat § 67 Abs. 4 des Strafgesetzbuches (StGB) insoweit für verfassungswidrig erklärt, als er die Anrechnung einer im Maßregelvollzug verbrachten Zeit auf so genannte verfahrensfremde Freiheitsstrafen auch in Härtefällen ausschließt.
Dem deutschen Strafrecht liegt ein zweispuriges Sanktionensystem zugrunde, das sich durch ein Nebeneinander von Strafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung auszeichnet. Eine Freiheitsentziehung kann entweder auf der Verhängung und Vollstreckung einer
Verurteilung des Beschwerdeführers nach langwierigem Verfahren zu Freiheitsstrafe und Unterbringung in psychiatrischem Krankenhaus
Der Beschwerdeführer des zugrunde liegenden Falls, bei dem bereits in jugendlichem Alter eine behandlungsbedürftige psychische Erkrankung diagnostiziert worden war, wurde in den Jahren 1992, 1993 und 2000 zu unterschiedlichen Freiheitsstrafen verurteilt. Unter anderem wurde er im Jahr 1993 vom Landgericht Hanau wegen schweren räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer
Beschwerdeführer beantragt korrigierte Strafzeitberechnung unter Anrechnung der im Maßregelvollzug verbüßten Unterbringungszeit
Vom 5. August 2004 bis 15. Januar 2009 befand sich der Beschwerdeführer auf Grundlage dieses Urteils im
Anrechnung der Maßvollzugszeiten auf verfahrensfremde Freiheitsstrafen zu Unrecht ausgeschlossen
Das Bundesverfassungsgericht hat der hiergegen erhobenen Verfassungsbeschwerde stattgegeben und entschieden, dass § 67 Abs. 4 StGB mit Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) insoweit unvereinbar ist, als er es ausnahmslos ausschließt, die Zeit des Vollzugs einer freiheitsentziehenden
Gerade Maßregelvollzug muss auf Ziel der Resozialisierung ausgerichtet sein
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Die von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete "Freiheit der Person" darf nur aus besonders gewichtigen Gründen eingeschränkt werden. Die Berechtigung des Staates, Freiheitsstrafen zu verhängen und zu vollstrecken, beruht auf der schuldhaften Begehung der Straftat. Die Unterbringung aufgrund einer
Schwere des Eingriffs darf im Ergebnis nicht außer Verhältnis zum Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe stehen
Der staatliche Strafanspruch und, daraus folgend, das Gebot, rechtskräftig verhängte, tat- und schuldangemessene Strafen auch zu vollstrecken, sind zwar gewichtige Gründe des Gemeinwohls. Die Schwere des mit seiner Verwirklichung verbundenen Eingriffs darf im Ergebnis jedoch nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe stehen. Mehrere für sich betrachtet möglicherweise angemessene oder zumutbare Eingriffe können dabei in ihrer Gesamtwirkung zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung führen, die das Maß des rechtsstaatlich Hinnehmbaren überschreitet.
Gefährdung der im Maßregelvollzug erzielten Therapieerfolge durch anschließende Strafvollstreckung nur bei wichtigen Gründen gerechtfertigt
Freiheitsstrafen und freiheitsentziehende Maßregeln der Besserung und Sicherung sind einander daher so zuzuordnen, dass die Zwecke beider Maßnahmen möglichst weitgehend erreicht werden, ohne dass dabei in das Freiheitsrecht des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG mehr als notwendig eingegriffen wird. Nur gewichtige Gründe können es rechtfertigen, im
Härtefälle nicht immer vermeidbar
Durch die von § 67 Abs. 4 StGB vorgegebene Nichtanrechnung der Maßregelvollzugszeiten auf verfahrensfremde Freiheitsstrafen kann sich eine Kumulation von Freiheitsentziehungen aufgrund von Strafvollstreckung und
Nichtanrechnung der Maßregelvollzugszeiten auf noch nicht vollstreckte Freiheitsstrafen hier nicht hinnehmbar
Durch die Anwendung von § 67 Abs. 4 StGB bewirken die angegriffenen Entscheidungen eine Kumulation von Eingriffen in das Freiheitsrecht des Beschwerdeführers, die angesichts der außergewöhnlichen Umstände des zu entscheidenden Falles über das rechtsstaatlich hinnehmbare Maß hinausgeht. Durch die Nichtanrechnung der Maßregelvollzugszeiten auf die noch nicht vollstreckten Freiheitsstrafen muss der Beschwerdeführer entweder eine jahrelange Anschlussstrafvollstreckung erleiden oder den
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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 17.04.2012
Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online
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Dokument-Nr. 13360
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