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Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 25.06.2014
1 BvR 668/10 und 1 BvR 2104/10 -

Erhebung wiederkehrender Straßen­aus­bau­beiträge bei konkret-individueller Zurechnung eines Sondervorteils zulässig

Vorschrift des rheinland-pfälzischen Kommunal­abgaben­gesetzes bei verfassungs­konformer Auslegung mit dem Grundgesetz vereinbar

Die Erhebung wiederkehrender Straßen­aus­bau­beiträge ist verfassungs­rechtlich zulässig. Die Differenzierung zwischen Beitragspflichtigen und nicht Beitragspflichtigen muss nach Maßgabe des konkret zurechenbaren Vorteils vorgenommen werden, dessen Nutzungsmöglichkeit mit dem Beitrag abgegolten werden soll. Dies entschied das Bundes­verfassungs­gericht. Die maßgebliche Vorschrift des rheinland-pfälzischen Kommunal­abgaben­gesetzes ist bei verfassungs­konformer Auslegung mit dem Grundgesetz vereinbar. Zur Prüfung der Frage, ob die angegriffenen Beitragssatzungen den jetzt geklärten verfassungs­rechtlichen Anforderungen gerecht werden, wurden die Verfahren an das Ober­verwaltungs­gericht Rheinland-Pfalz zurückverwiesen.

Die Beschwerdeführerinnen wurden auf der Grundlage kommunaler Satzungen zu wiederkehrenden Beiträgen für Verkehrsanlagen herangezogen. Dem Verfahren 1 BvR 668/10 liegt ein Bescheid der Stadt Saarburg für das Jahr 2007 in Höhe von 146,30 Euro zu Grunde, dem Verfahren 1 BvR 2104/10 ein Bescheid der Stadt Schifferstadt für das Jahr 2006 in Höhe von 27,36 Euro. Die hiergegen gerichteten Klagen blieben vor den Verwaltungsgerichten im Wesentlichen ohne Erfolg. Die Beschwerdeführerinnen wenden sich mittelbar auch gegen die Rechtsgrundlage der Beitragssatzungen in § 10 a des rheinland-pfälzischen Kommunalabgabengesetzes (KAG RP).

Wiederkehrende Beiträge sind nichtsteuerliche Abgaben

Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass der wiederkehrende Beitrag auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, die die Kompetenzordnung des Grundgesetzes wahrt. Wiederkehrende Beiträge nach § 10 a KAG RP sind keine Steuern, sondern nichtsteuerliche Abgaben, für die den Ländern nach den allgemeinen Regeln die erforderliche Sachgesetzgebungskompetenz zusteht (Art. 30, 70 ff. GG, Straßenausbaubeitragsrecht).

Die Verfassungsbeschwerden sind unbegründet, soweit sie sich grundsätzlich gegen die Möglichkeit wenden, wiederkehrende Beiträge für Verkehrsanlagen nach § 10 a KAG RP aufzuerlegen.

Nichtsteuerliche Abgaben bedürfen besonderer sachlicher Rechtfertigung

Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Aus dem Gleichheitssatz folgt für das Steuer- und Abgabenrecht der Grundsatz der Belastungsgleichheit. Bei der Auswahl des Abgabengegenstands sowie bei der Bestimmung von Beitragsmaßstäben und Abgabensatz hat der Gesetzgeber einen weitreichenden Gestaltungsspielraum. Wer eine nichtsteuerliche Abgabe schuldet, ist allerdings regelmäßig zugleich steuerpflichtig. Daher bedürfen nichtsteuerliche Abgaben, einer - über den Zweck der Einnahmeerzielung hinausgehenden - besonderen sachlichen Rechtfertigung. Als sachliche Gründe, die die Bemessung einer Gebühr oder eines Beitrags rechtfertigen können, sind vor allem Zwecke des Vorteilsausgleichs, der Verhaltenslenkung sowie soziale Zwecke anerkannt.

Vorteile der Typisierung müssen im Verhältnis zu der dazu notwendig verbundenen Ungleichheit der Belastung stehen

Es ist ein legitimes Anliegen des Gesetzgebers, die Erhebung von Abgaben so auszugestalten, dass sie praktikabel bleibt, und sie von übermäßigen, mit Rechtsunsicherheit verbundenen Differenzierungsanforderungen zu entlasten. Die wirtschaftlich ungleiche Wirkung auf die Abgabepflichtigen darf allerdings ein gewisses Maß nicht übersteigen. Vielmehr müssen die Vorteile der Typisierung im rechten Verhältnis zu der mit ihr notwendig verbundenen Ungleichheit der Belastung stehen.

Bei grundstücksbezogener Beitragserhebung muss Sondervorteil grundstücksbezogen definiert werden

Werden Beiträge erhoben, verlangt Art. 3 Abs. 1 GG, dass die Differenzierung zwischen Beitragspflichtigen und nicht Beitragspflichtigen nach Maßgabe des Vorteils vorgenommen wird, dessen Nutzungsmöglichkeit mit dem Beitrag abgegolten werden soll. Erfolgt die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen grundstücksbezogen, können nach dem Grundsatz der abgabenrechtlichen Belastungsgleichheit nur solche Grundstücke herangezogen werden, deren Eigentümer aus der Möglichkeit, die ausgebauten Straßen in Anspruch zu nehmen, einen Sondervorteil schöpfen können, der sich von dem der Allgemeinheit der Straßennutzer unterscheidet. Soweit die Beitragserhebung grundstücksbezogen erfolgt, muss auch der Sondervorteil grundstücksbezogen definiert werden.

Kein Verstoß gegen Gebot der Belastungsgleichheit

Die Heranziehung zu wiederkehrenden Beiträgen nach Maßgabe des § 10 a KAG RP verstößt bei verfassungskonformer Auslegung nicht gegen das Gebot der Belastungsgleichheit.

Wiederkehrender Beitrag soll allgemein Möglichkeit der Zufahrt zur einer - nicht bestimmten - Verkehrsanlage bieten

Während nach Auffassung des Landesgesetzgebers beim einmaligen Beitrag der Sondervorteil in der rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeit einer Zufahrt oder eines Zuganges "zu der hergestellten oder ausgebauten Verkehrsanlage" besteht, soll beim wiederkehrenden Beitrag die Möglichkeit der Zufahrt oder des Zugangs zu "einer der Verkehrsanlagen" - also nicht nur zu einer bestimmten, gerade hergestellten oder ausgebauten Verkehrsanlage - genügen.

Straßenausbau sichert Zugänglichkeit des Grundstücks und damit Fortbestand der qualifizierten Nutzbarkeit

Damit bewegt sich der Landesgesetzgeber innerhalb der durch den Gleichheitssatz gezogenen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit. Mit dem Ausbaubeitrag wird nicht die schlichte auch der Allgemeinheit zustehende Straßenbenutzungsmöglichkeit entgolten, sondern die einem Grundstück mit Baulandqualität zugutekommende Erhaltung der wegemäßigen Erschließung als Anbindung an das inner- und überörtliche Verkehrsnetz. Durch den Straßenausbau wird die Zugänglichkeit des Grundstücks gesichert und damit der Fortbestand der qualifizierten Nutzbarkeit. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass zur wegemäßigen Erschließung eines bestimmten Grundstücks allein die Straße, an der es gelegen ist, regelmäßig nicht ausreicht. Vielmehr wird der Anschluss an das übrige Straßennetz meist erst über mehrere Verkehrsanlagen vermittelt.

Bildung einer Abrechnungseinheit aus sämtlichen zum Anbau bestimmten Verkehrsanlagen einer Gemeinde bei einem sich daraus ergebenden Sondervorteil für das beitragsbelastete Grundstück zulässig

Die Bildung einer einheitlichen Abrechnungseinheit für Straßenausbaubeiträge ist zulässig, wenn mit den Verkehrsanlagen ein konkret-individuell zurechenbarer Vorteil für das beitragsbelastete Grundstück verbunden ist. § 10 a KAG RP eröffnet dem Satzungsgeber die Möglichkeit, einheitliche öffentliche Einrichtungen zu bilden, die nicht notwendig das gesamte Gemeindegebiet umfassen, sondern auch nur einzelne, abgrenzbare Gebietsteile. Der Gesetzgeber sah die Ausübung des Satzungsermessens dahingehend, dass sämtliche zum Anbau bestimmte Verkehrsanlagen einer Gemeinde eine einheitliche öffentliche Einrichtung bilden, als Regelfall an, was auch vor dem Hintergrund zu sehen ist, dass es in Rheinland-Pfalz besonders viele kleinere Gemeinden gibt. Die Bildung einer einzigen Abrechnungseinheit im gesamten Gemeindegebiet durch Satzung ist dann gerechtfertigt, wenn mit den Verkehrsanlagen ein Sondervorteil für das beitragsbelastete Grundstück verbunden ist. Besteht ein solcher Vorteil nicht wie dies regelmäßig in Großstädten oder Gemeinden ohne zusammenhängendes Gebiet der Fall sein wird , läge in der Heranziehung aller Grundstücke zur Beitragspflicht eine Gleichbehandlung wesentlich ungleicher Sachverhalte.

Satzungsgeber ist Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten ausdrücklich vorgeschrieben

Der Wortlaut des § 10 a KAG RP steht einer solchen verfassungskonformen Auslegung nicht entgegen, da dem Satzungsgeber ausdrücklich vorgeschrieben ist, die örtlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen. In Großstädten oder Gemeinden ohne zusammenhängendes Gebiet ist das eröffnete Satzungsermessen zur Bildung einer einzigen Verkehrsanlage im gesamten Gemeindegebiet insoweit von Verfassungs wegen auf Null reduziert, als nur so dem Gebot eines zurechenbaren Sondervorteils auch bei Berücksichtigung des Typisierungs- und Vereinfachungsspielraums des Satzungsgebers Rechnung getragen werden kann.

Beitragserhebung kommt nur für Grundstücke mit potentiellem Gebrauchsvorteil durch Verkehrsanlage in Betracht

Eine Beitragserhebung kommt nur für diejenigen Grundstücke in Betracht, die von der Verkehrsanlage einen jedenfalls potentiellen Gebrauchsvorteil haben, bei denen sich also der Vorteil der Möglichkeit der Nutzung der ausgebauten Straßen als Lagevorteil auf den Gebrauchswert des Grundstücks auswirkt. Nur in diesem Fall erscheint es nach dem Maßstab des Gleichheitssatzes gerechtfertigt, gerade den oder die Eigentümer dieses Grundstücks zu einem Beitrag für die Nutzung der ausgebauten Straße heranzuziehen.

Konkret zurechenbare Vorteile für herangezogene Grundstücke hängt von tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten ab

Ob die herangezogenen Grundstücke einen konkret zurechenbaren Vorteil von dem Ausbau und der Erhaltung einer Verkehrsanlage haben, hängt dabei nicht von der politischen Zuordnung eines Gebiets, sondern vor allem von den tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten ab, etwa der Größe, der Existenz eines zusammenhängenden bebauten Gebiets, der Topographie wie der Lage von Bahnanlagen, Flüssen und größeren Straßen oder der typischen tatsächlichen Straßennutzung. Dabei dürfte in Großstädten die Aufteilung der Verkehrsanlagen in mehrere abgrenzbare Gebietsteile regelmäßig erforderlich und unbeschadet des ansonsten bestehenden Satzungsermessens die Annahme einer einheitlichen öffentlichen Einrichtung ausgeschlossen sein; in kleinen Gemeinden - insbesondere solchen, die aus nur einem kleinen, zusammenhängend bebauten Ort bestehen - werden sich einheitliche öffentliche Einrichtung und Gemeindegebiet dagegen häufig decken.

Individuelle Zurechnung von Vorteil und Beitragspflicht aus verfassungsrechtlicher Sicht ausreichend

Ein "funktionaler Zusammenhang" von Verkehrsanlagen, wie er früher vom Landesgesetzgeber und den Verwaltungsgerichten gefordert wurde, ist für die Bildung einer Abrechnungseinheit von Verkehrsanlagen durch den Gleichheitssatz jedoch nicht vorgegeben. Aus verfassungsrechtlicher Sicht kommt es allein darauf an, dass eine individuelle Zurechnung von Vorteil und Beitragspflicht hergestellt werden kann.

OVG muss individuell-konkret zurechenbaren, grundstücksbezogenen Vorteil der beitragspflichtigen Grundstücke erneut prüfen

Die angegriffenen Entscheidungen sind den verfassungsrechtlichen Anforderungen aus dem Grundsatz der Belastungsgleichheit nicht in vollem Umfang gerecht geworden. Insbesondere hat das Oberverwaltungsgericht bei der Anwendung von § 10 a KAG RP nicht geprüft, ob ein individuell-konkret zurechenbarer, grundstücksbezogener Vorteil der beitragspflichtigen Grundstücke vom Anschluss an die jeweilige Beitragseinheit vorhanden ist. Daher sind die Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz aufzuheben und die Verfahren dorthin zurückzuverweisen.

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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 24.07.2014
Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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