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Bundesgerichtshof, Urteil vom 29.10.2021
- VIII ZR 111/20 -
Abgasskandal: Rücktritt vom Kaufvertrag ohne vorherige Fristsetzung zur Nacherfüllung nicht ohne weiteres möglich
Kein Anspruch auf sofortigen Rücktritt vom Kaufvertrag ohne Fristsetzung zur Nacherfüllung
Der Bundesgerichtshof hat sich in einer nunmehr veröffentlichten Entscheidung damit beschäftigt, ob der Käufer eines aufgrund einer unzulässigen Abschalteinrichtung mangelhaften Neufahrzeugs vom Kaufvertrag zurücktreten kann, ohne dem Verkäufer zuvor Gelegenheit zur Mangelbeseitigung (hier: durch ein Software-Update) zu geben.
Der Kläger erwarb im Jahr 2015 bei der beklagten Fahrzeughändlerin ein mit einem von der Volkswagen AG hergestellten Dieselmotor EA 189 ausgestattetes Neufahrzeug Škoda Yeti, dessen Motorsteuerungssoftware den Prüfstandlauf erkannte und in diesem Fall den Ausstoß von Stickoxiden verringerte. Nachdem die Verwendung entsprechender Vorrichtungen bei Dieselmotoren des Typs EA 189 im Verlauf des sogenannten Dieselskandals öffentlich bekannt geworden war, erklärte der Kläger im Herbst 2017 den Rücktritt vom Vertrag. Die Beklagte verweigerte die Rücknahme des Fahrzeugs und verwies den Kläger auf das von der Volkswagen AG entwickelte und von der zuständigen Behörde freigegebene Software-Update, das hinsichtlich des Stickoxidausstoßes einen vorschriftsmäßigen Zustand herstellen sollte. Der Kläger ließ das Software-Update nicht aufspielen, weil er negative Folgen für das Fahrzeug befürchtete.
OLG: Fristsetzung zur Nacherfüllung hier entbehrlich
Die Vorinstanzen haben der auf
BGH: Frist zur Nacherfüllung auch im Abgasskandal nicht ohne weiteres entbehrlich
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass eine dem Verkäufer vor Ausübung eines mangelbedingten Rücktrittsrechts vom Käufer einzuräumende
Störung der Vertrauensgrundlage zwischen Käufer und Verkäufer im Einzelfall zu prüfen
Diese Rechtsprechung lässt sich jedoch - was das Berufungsgericht vorliegend nicht hinreichend beachtet hat - nicht ohne weiteres auf Fallgestaltungen wie die vorliegende übertragen, in denen zwar der Hersteller das Fahrzeug mit einem ihm bekannten und verschwiegenen Mangel - der unzulässigen Abschalteinrichtung - in den Verkehr gebracht hat, dem Verkäufer selbst dieser Mangel bei Vertragsabschluss aber nicht bekannt war. Zwar kann die Vertrauensgrundlage zwischen einem Käufer und einem Verkäufer unter Umständen auch dann gestört sein, wenn der Verkäufer sich bei Vertragsabschluss ordnungsgemäß verhalten hat, aber eine Nachbesserung allein in Form eines von eben diesem Hersteller entwickelten Software-Updates anbietet. Ob eine solche Störung vorliegt, hängt jedoch stets von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, die der Tatrichter nicht allein schematisch, sondern in sorgfältiger Abwägung zu würdigen hat. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass sich der Verkäufer, dem vom Gesetz grundsätzlich ein Recht zur zweiten Andienung eingeräumt wird, nach der Rechtsprechung des Senats ein arglistiges Vorgehen des Herstellers gerade nicht zurechnen lassen muss. Weiterhin wird in Betracht zu ziehen sein, ob vor dem Hintergrund der erforderlichen Prüfung und Freigabe des Updates durch die zuständige Behörde und der Beobachtung der weiteren Entwicklung durch die (Fach-)Öffentlichkeit ein erneutes arglistiges Verhalten des Herstellers nicht fraglich sein könnte. Denn wäre - was die Tatgerichte im Einzelnen zu prüfen haben - ein weiteres arglistiges Verhalten des Herstellers aus objektiver Sicht auszuschließen, ließe sich auch eine auf dessen früheres arglistiges Vorgehen gestützte Unzumutbarkeit der Nacherfüllung nicht begründen.
Behauptete Folgeschäden durch Software-Update kein Grund für sofortigen Rücktritt
Ebenso wenig ist vorliegend ein sofortiger Rücktritt bereits deshalb gerechtfertigt, weil - wie das Berufungsgericht gemeint hat - nach der allgemeinen Lebenserfahrung das vom Verkäufer angebotene Software-Update mit dem Verdacht oder gar einer tatsächlichen Vermutung negativer Folgen für das Fahrzeug und dessen Betrieb (höherer Verbrauch, kürzere Lebensdauer des Fahrzeugs, erhöhter Verschleiß, verminderte Leistung, schlechtere Emissionen) behaftet wäre. Vielmehr ist zunächst durch entsprechende Feststellungen und vorliegend durch das vom Kläger diesbezüglich angebotene Sachverständigengutachten zu klären, ob und in welchem Umfang das vom Verkäufer angebotene Software-Update tatsächlich zu den vom Käufer behaupteten Folgeschäden führt. Nach alledem hat der Senat das Berufungsurteil auf die Revision der Beklagten aufgehoben, soweit darin zu deren Nachteil erkannt worden ist, und es an das Berufungsgericht zurückverwiesen, damit die erforderlichen Feststellungen nunmehr nachgeholt werden können.
Revision des Klägers erfolglos
Die Revision des Klägers, mit welcher dieser die Bemessung des bei einer
Schätzwerte für zu erwartende Gesamtlaufleistung nicht zu beanstanden
Dabei ist nicht zu beanstanden, dass sich die Vorinstanzen an den in der Gerichtspraxis anzutreffenden Schätzwerten bei Mittelklassewagen neueren Datums orientiert und für das Fahrzeug eine zu erwartende Gesamtlaufleistung von 250.000 Kilometern angesetzt haben. Die demgegenüber unter Sachverständigenbeweis gestellte Behauptung des Klägers, das erworbene Fahrzeug habe eine voraussichtliche Laufleistung von 400.000 Kilometern, ist unbeachtlich. Denn der Kläger hat vorliegend nicht aufgezeigt, dass ein Sachverständigengutachten eine tragfähigere Schätzgrundlage als die seit vielen Jahren veröffentlichten Schätzwerte der Tatgerichte böte.
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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 04.11.2021
Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)
- Landgericht Köln, Urteil vom 08.01.2019
[Aktenzeichen: 19 O 191/17] - Oberlandesgericht Köln, Urteil vom 27.03.2020
[Aktenzeichen: 6 U 16/19]
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Dokument-Nr. 31006
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