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Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 22.01.2004
46720/99, 72203/01 und 72552/01 -

Europäischer Gerichtshof weist Klagen ab - Erben von DDR-Neubauern müssen entschädigungslose Landenteignungen hinnehmen

Urteil der großen Kammer Jahn und andere gegen Deutschland

Die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hat heute in den Fällen Jahn und andere gegen Deutschland (Beschwerden Nr. 46720/99, 72203/01 und 72552/01) ihr Urteil (Anm. der Red.: Die Urteile der Großen Kammer sind gem. Art. 44 der Konvention endgültig) in öffentlicher Verhandlung verkündet.

Der Gerichtshof entschied mit elf gegen sechs Stimmen, dass keine Verletzung von Artikel 1 des Protokolls Nr. 1 (Schutz des Eigentums) zur Europäischen Menschenrechtskonvention vorliegt, mit fünfzehn gegen zwei Stimmen, dass keine Verletzung von Artikel 14 (Diskriminierungsverbot) der Konvention in Verbindung mit Artikel 1 des Protokolls Nr. 1 vorliegt.

1. Sachverhalt:

Die fünf Beschwerdeführer, Heidi Jahn, Albert Thurm, Erika Rissmann, Ilse Höller und Edith Loth, sind deutsche Staatsangehörige und leben in Deutschland. Frau Jahn und ihr Bruder, Herr Thurm, wurden 1947 geboren und wohnen in Sangerhausen. Frau Rissmann und Frau Höller sind Schwestern. Sie wurden 1942 bzw. 1944 geboren und leben in Erfstadt bzw. in Stotzheim. Frau Loth wurde 1940 geboren und wohnt in Frankfurt an der Oder.

Die Beschwerdeführer sind alle Erben von Grundstücken, die ihren Eltern im Zuge der Bodenreform von 1945 in der ehemaligen sowjetischen Bestazungszone vorbehaltlich bestimmter Verfügungsbeschränkungen zugeteilt worden waren. Die Eigentümer dieser Bodenreformgrundstücke wurden seinerzeit als Neubauern bezeichnet.

Am 16. März 1990 trat das Modrow-Gesetz (Gesetz über die Rechte der Eigentümer von Grundstücken aus der Bodenreform) in Kraft, mit dem alle Verfügungsbeschränkungen bezüglich dieser Grundstücke aufgehoben und den Betroffenen die vollen Eigentumsrechte übertragen wurden.

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands mussten jedoch manche Erben solcher Bodenreformgrundstücke, darunter die Beschwerdeführer, aufgrund des am 14. Juli 1992 vom deutschen Bundestag verabschiedeten Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes diese Grundstücke entschädigungslos an das Finanzamt ihres jeweiligen Bundeslandes abtreten. Dieses Gesetz sah vor, dass die Erben von Bodenreformgrundstücken diese an die Finanzämter abzutreten haben, sofern sie zum 15. März 1990 oder in den letzten zehn Jahren davor nicht in der Land-, Forst- oder Nahrungsmittelwirtschaft tätig waren oder in der DDR keiner Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft angehört hatten.

2. Verfahren und Zusammensetzung des Gerichtshofs:

Die erste Beschwerde wurde am 2. September 1996 bei der Europäischen Kommission für Menschenrechte eingereicht und am 1. November 1998 an den Gerichtshof verwiesen. Sie wurde am 25. April für zulässig befunden. Die zweite und die dritte Beschwerde wurden am 19. März bzw. am 23. April 2001 eingereicht und am 15. Mai 2003 für teilweise zulässig erklärt. Am 18. September 2003 fand im Menschenrechtsgebäude in Straßburg eine mündliche Verhandlung vor einer Kammer des Gerichtshofes statt.

In ihrem Urteil vom 22. Januar 2004 hat die Kammer zwar die Umstände im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung als außergewöhnlich angesehen, in dem Fehlen jeglicher Entschädigung für die staatliche Aneignung des Eigentums der Beschwerdeführer zu deren Lasten aber einen Verstoß gegen das Gebot gesehene, eine gerechte Abwägung zwischen dem Schutz des Eigentums und den Erfordernissen des Allgemeininteresses vorzunehmen. Der Gerichtshof stellte daher einstimmig eine Verletzung von Artikel 1 des Protokolls Nr. 1 fest und hielt es nicht für erforderlich zu prüfen, ob auch Artikel 14 der Konvention in Verbindung mit Artikel 1 des Protokolls Nr. 1 verletzt worden war.

Am 14. Juni 2004 hat der Ausschuss von fünf Richtern der Großen Kammer dem Antrag der Bundesregierung auf Verweisung der Rechtssachen an die Große Kammer[2] stattgegeben. Am 26. Januar 2005 fand im Menschenrechtsgebäude in Straßburg eine mündliche Verhandlung vor der Großen Kammer des Gerichtshofes statt.

Das Urteil wurde von der Großen Kammer (17 Richter) in folgender Besetzung gefällt:

Luzius Wildhaber (Schweizer), Präsident,

Christos Rozakis (Grieche),

Jean-Paul Costa (Franzose),

Georg Ress (Deutscher),

Nicolas Bratza (Brite),

Ireneu Cabral Barreto (Portugiese),

Corneliu Bîrsan (Rumäne)

Volodymyr Butkevych (Ukrainer),

Nina Vajic (Kroatin),

Matti Pellonpää (Finne),

Snejana Botoucharova (Bulgarin),

Elisabeth Steiner (Österreicherin),

Stanislav Pavlovschi (Moldawier),

Lech Garlicki (Pole),

Javier Borrego Borrego (Spanier),

Khanlar Hajiyev (Aserbaidschaner),

Ljiljana Mijovic (Bürgerin von Bosnien-Herzegowina), Richter,

sowie Erik Fribergh, stellvertretender Kanzler.

3. Zusammenfassung des Urteils:

Die Beschwerdepunkte

Die Beschwerdeführer machten geltend, dadurch, dass sie zur entschädigungslosen Abtretung ihres Grundbesitzes gezwungen worden seien, sei ihr Recht auf Achtung ihres Eigentums verletzt und somit gegen Artikel 1 des Protokolls Nr. 1 (Schutz des Eigentums) zur Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen worden. Außerdem brachten sie vor, sie seien Opfer einer Diskriminierung im Sinne des Artikels 14 in Verbindung mit Artikel 1 des Protokolls Nr. 1 geworden.

Die Entscheidung des Gerichtshofs

Artikel 1 Absatz 1 des Protokolls Nr. 1

Wie zuvor die Kammer ist die Große Kammer der Meinung, dass der Eingriff in das Recht der Beschwerdeführer als Entziehung des Eigentums anzusehen ist und dass er im Sinne von Artikel 1 des Protokolls Nr. 1 gesetzlich vorgesehen war. Weiterhin bestätigt die Große Kammer die Ansicht der Kammer, dass die streitigen Maßnahmen dem öffentlichen Interesse dienten, nämlich die - in den Augen der deutschen Behörden - ungerechten Auswirkungen des Modrow-Gesetzes zu korrigieren.

Der Gerichtshof untersucht daher, ob eine gerechte Abwägung zwischen den Erfordernissen des Allgemeininteresses und dem Gebot, die Grundrechte der Einzelnen zu schützen, vorgenommen worden ist. Der Gerichtshof erinnert daran, dass das Fehlen jeglicher Entschädigung bei Eigentumsentziehungen unter dem Blickwinkel des Artikels 1 des Protokolls Nr. 1 nur unter außergewöhnlichen Umständen gerechtfertigt sein kann. Mithin ist zu prüfen, ob vor dem einmaligen Hintergrund der deutschen Wiedervereinigung die besonderen Umstände der vorliegenden Fälle als außergewöhnlich angesehen werden und das Absehen von Entschädigung rechtfertigen können.

Zunächst berücksichtigt der Gerichtshof die Umstände, unter denen das Modrow-Gesetz zustande kam. Dieses wurde von einem nicht demokratisch gewählten Parlament in einer Periode des Übergangs zwischen zwei politischen Systemen verabschiedet, in einer Zeit also, die notwendigerweise von Umbruch und Unwägbarkeiten gekennzeichnet war. Selbst wenn die Beschwerdeführer daher einen formellen Eigentumstitel erhalten hatten, konnten sie unter diesen Umständen nicht mit Gewissheit auf den Fortbestand ihrer Rechtsposition vertrauen.

Der Gerichtshof berücksichtigt weiterhin die relativ kurze Zeit, die zwischen der Wiedervereinigung und der Verabschiedung des Zweiten Vermögensrechtsänderungs-gesetz vergangen ist. In dieser Zeit sah sich der Gesetzgeber ungeheuren Aufgaben gegenüber, um insbesondere die durch den Übergang zu einem demokratischen und marktwirtschaftlichen System aufgeworfenen zahlreichen und komplexen eigentumsrechtlichen Fragen zu regeln, zu denen auch die Fragen der Abwicklung der Bodenreform gehörten. Nach Ansicht des Gerichtshofs ist der deutsche Gesetzgeber in angemessener Zeit tätig geworden, um die von ihm erachteten ungerechten Folgen des Modrow-Gesetzes zu korrigieren.

Schließlich meint der Gerichtshof, dass die Gründe, die zur Verabschiedung des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetz geführt haben, gleichfalls einen entscheidenden Gesichtspunkt darstellen. Die Einschätzung des Parlaments der Bundesrepublik Deutschland, dass die Folgen des Modrow-Gesetzes aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit einer Korrektur bedurften, um zu vermeiden, dass der Erwerb des vollen Eigentums durch die Erben der Bodenreformgrundstücke nicht zufällig vom Handeln oder Untätigsein der DDR-Behörden abhing, entbehrte nicht offensichtlich einer vernünftigen Grundlage. In Anbetracht der auf die Erben der Bodenreformgrundstücke anwendbaren gesetzlichen Vorschriften der DDR haben die Beschwerdeführer durch das Modrow-Gesetz unzweifelhaft einen „Zufallsgewinn“ gehabt. Diese Situation ohne Entschädigung zu bereinigen war nicht unverhältnismäßig.

In Anbetracht dieser Umstände, und insbesondere der rechtlichen Unsicherheit, in der sich die Erben befanden, und der von den deutschen Behörden vorgebrachten Gründe der sozialen Gerechtigkeit, kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass vor dem einmaligen Hintergrund der deutschen Wiedervereinigung trotz des Fehlens jeglicher Entschädigung dem Gebot entsprochen geworden ist, eine gerechten Abwägung zwischen dem Schutz des Eigentums und den Erfordernissen des Allgemeininteresses vorzunehmen.

Der Gerichtshof stellte daher keine Verletzung des Artikels 1 des Protokolls Nr. 1 fest.

Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 1 des Protokolls Nr.1

Der Gerichtshof bemerkt, dass das Zweite Vermögensrechtsänderungsgesetz verabschiedet wurde, um die Folgen des Modrow-Gesetzes zu korrigieren. Ziel war es, eine Gleichbehandlung der Erben der Bodenreformgrundstücke sicherzustellen. Auf der einen Seite diejenigen, deren Grundstücke vor dem Inkrafttreten des Modrow-Gesetzes Dritten zugeteilt oder in den Agrarfonds der DDR zurückgeführt worden waren, auf der anderen Seite diejenigen, die die Zuteilungskriterien nicht erfüllten, bei denen aber die Behörden der DDR es unterlassen hatten, die entsprechenden Umschreibungen vorzunehmen und in das Grundbuch einzutragen.

Da die Vorschriften dieses Gesetzes sich auf objektive und vernünftige Gründe stützten, kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass keine Verletzung von Artikel 14 und Artikel 1 des Protokolls Nr. 1 vorliegt.

Die Richter Cabral Barreto und Pavlovschi haben dem Urteil teilweise abweichende persönliche Meinungen beigefügt. Die Richter Costa und Borrego Borrego haben ein gemeinsames abweichendes Votum verfasst, dem sich der Richter Ress und die Richterin Botoucharova angeschlossen haben. Richter Ress hat weiterhin eine abweichende persönliche Meinung zum Ausdruck gebracht. Der Wortlaut dieser Sondervoten ist dem Urteil beigefügt.

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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 01.07.2005
Quelle: ra-online

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