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Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 12.04.2012
43547/08 -

Verurteilung wegen Inzestbeziehung zwischen Geschwistern verstößt nicht gegen Menschenrechtskonvention

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte verneint Verletzung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Verurteilung eines Mannes zu einer Gefängnisstrafe wegen seiner Inzestbeziehung mit seiner jüngeren Schwester, die er, nachdem er in einer Pflegefamilie aufgewachsen war, erst als Erwachsener kennengelernt hatte und mit der er vier gemeinsame Kinder hat, für rechtmäßig erklärt. Der Gerichtshof entschied insbesondere, dass die deutschen Behörden im Umgang mit dieser Frage einen weiten Beurteilungsspielraum hatten, da zwischen den Mitgliedstaaten des Europarats kein Konsens hinsichtlich der Frage besteht, ob einvernehmliche sexuelle Beziehungen zwischen Geschwistern eine Straftat darstellen. Im Übrigen hatten die deutschen Gerichte bei der Verurteilung des Beschwerdeführers eine sorgfältige Abwägung der Argumente vorgenommen. Der Gerichtshof verneinte in diesem Fall eine Verletzung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Artikel 8) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).

Der Beschwerdeführer, Patrick Stübing, geboren 1976, ist deutscher Staatsangehöriger und lebt in Leipzig. Als Siebenjähriger wurde er von einer Pflegefamilie adoptiert, nachdem er als Dreijähriger zunächst in einem Kinderheim untergebracht worden war. Nach seiner Adoption hatte er jahrelang keinen Kontakt zu seiner leiblichen Familie. Erst als er im Jahr 2000 wieder Kontakt zu seiner Herkunftsfamilie aufnahm, erfuhr Patrick Stübing, dass er eine, 1984 geborene, leibliche Schwester hat. Nach dem Tod ihrer Mutter im Dezember 2000 entwickelte sich eine Liebesbeziehung zwischen den Geschwistern. Sie lebten mehrere Jahre zusammen und bekamen zwischen 2001 und 2005 vier gemeinsame Kinder.

Deutsche Gerichte verurteilen Beschwerdeführer wegen Inzests zur Freiheitsstrafe

Nach mehreren Vorstrafen wegen seiner Inzestbeziehung verurteilte das Amtsgericht Leipzig Patrick Stübing im November 2005 wegen Beischlafs zwischen Verwandten in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten. Unter Berufung auf ein Sachverständigengutachten, demzufolge seine Schwester eine ängstlich zurückgezogene Persönlichkeitsstruktur habe und in hohem Maße von ihm abhängig sei, schlussfolgerte das Gericht, sie sei nur teilweise schuldfähig und sah in ihrem Fall von einer Strafe ab. Nachdem das Oberlandesgericht Dresden das Urteil bestätigt hatte, legte Patrick Stübing eine Verfassungsbeschwerde gegen seine Verurteilung ein.

Strafbarkeit sexueller Beziehungen zwischen leiblichen Geschwistern stellt keinen Eingriff in Kernbereich privater Lebensgestaltung dar

Das Bundesverfassungsgericht wies die Verfassungsbeschwerde mit Entscheidung vom 26. Februar 2008 mit einer Mehrheit der Stimmen zurück. Es vertrat die Auffassung, dass die Strafbarkeit des Beischlafs zwischen leiblichen Geschwistern nach dem deutschen Strafgesetzbuch keinen Eingriff in den Kernbereich privater Lebensgestaltung darstelle. Wichtigster Grund für die Strafbarkeit sei der Schutz von Ehe und Familie, da Inzestverbindungen zu einer Überschneidung von Verwandtschaftsverhältnissen und sozialen Rollenverteilungen führten. Darüber hinaus seien der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung und die Gefahr erheblicher Schädigungen der aus einer solchen Beziehung hervorgegangenen Kinder Gründe für das Verbot. Die in Frage stehende Strafnorm sei gerechtfertigt durch die Zusammenfassung dieser Strafzwecke vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Überzeugung, dass Inzest strafwürdig sei.

Beschwerdeführer rügt Verletzung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens

Patrick Stübing rügte seine Verurteilung wegen Beischlafs zwischen Verwandten und machte eine Verletzung von Artikel 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) geltend. Die Beschwerde wurde am 3. September 2008 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt.

Verurteilung des Beschwerdeführers verfolgte legitimen Zweck

Der Gerichtshof schloss nicht aus, dass Patrick Stübings Verurteilung eine Beeinträchtigung seines Familienlebens darstellte. In jedem Fall war zwischen den Parteien unumstritten, dass die Verurteilung einen Eingriff in sein Recht auf Achtung des Privatlebens nach Artikel 8 darstellte, das auch sein Sexualleben mit einschloss. Seine Verurteilung war nach dem deutschen Strafgesetzbuch, das sexuelle Beziehungen zwischen leiblichen Geschwistern unter Strafe stellt und auf den Schutz der Moral und der Rechte anderer abzielt, gesetzlich vorgeschrieben. Daher verfolgte die Verurteilung einen legitimen Zweck im Sinne von Artikel 8.

Sexuelle Beziehungen zwischen Geschwistern weder in der Rechtsordnung noch in der Gesellschaft im Allgemeinen anerkannt

Der Gerichtshof war der Auffassung, dass die deutschen Behörden bei der Entscheidung, wie mit Inzestbeziehungen zwischen erwachsenen Geschwistern umzugehen sei, einen weiten Beurteilungsspielraum hatten. Zwischen den Mitgliedstaaten des Europarats besteht kein Konsens hinsichtlich der Frage, ob einvernehmliche sexuelle Beziehungen zwischen erwachsenen Geschwistern eine Straftat darstellen. In einer Mehrheit der Staaten sind solche Beziehungen allerdings strafbar. Darüber hinaus verbieten alle vom Gerichtshof in einer rechtsvergleichenden Untersuchung berücksichtigten Rechtssysteme, einschließlich derjenigen, die keine Strafbarkeit sexueller Beziehung vorsehen, die Ehe zwischen Geschwistern. Folglich besteht ein breiter Konsens dahingehend, dass sexuelle Beziehungen zwischen Geschwistern weder in der Rechtsordnung noch in der Gesellschaft im Allgemeinen anerkannt sind. Darüber hinaus gibt es keinen Beleg für die Annahme eines allgemeinen Trends zur Entkriminalisierung solcher Beziehungen. Schließlich berücksichtigte der Gerichtshof, dass der Fall eine Frage moralischer Maßstäbe betraf, in der Staaten nach seiner Rechtsprechung einen weiten Beurteilungsspielraum haben, wenn zwischen den Staaten kein Konsens besteht.

BVerfG nimmt ausreichend sorgfältige Abwägung aller Argumente vor

Das Bundesverfassungsgericht hatte eine sorgfältige Abwägung der Argumente für und gegen die Strafbarkeit sexueller Beziehungen zwischen Geschwistern vorgenommen und war zu der Auffassung gelangt, dass mehrere Strafzwecke zusammengenommen die Verurteilung des Beschwerdeführers rechtfertigten, darunter der Schutz der Familie, die sexuelle Selbstbestimmung und die öffentliche Gesundheit, vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Überzeugung, dass Inzest strafwürdig sei. Es hatte berücksichtigt, dass sexuelle Beziehungen zwischen Geschwistern Familienstrukturen, und folglich die Gesellschaft insgesamt, ernsthaft beeinträchtigen könnten. Die sorgfältige Prüfung des Bundesverfassungsgerichts zeigte sich überdies auch darin, dass der Entscheidung eine ausführliche abweichende Meinung eines Richters beigefügt war.

Beurteilungsspielraum bei Verurteilung seitens deutscher Gerichte nicht überschritten

Nach Überzeugung der deutschen Gerichte war Patrick Stübings Schwester im Alter von sechzehn Jahren nach dem Tod ihrer Mutter eine Beziehung mit dem sieben Jahre älteren Bruder eingegangen. Sie habe an einer schweren Persönlichkeitsstörung gelitten und sei in hohem Maße von ihm abhängig gewesen. Die deutschen Gerichte hatten die Schlussfolgerung gezogen, dass sie nur teilweise schuldfähig sei. Vor diesem Hintergrund befand der Gerichtshof, dass die von den deutschen Gerichten verfolgten Zwecke nicht unangemessen waren. Der Gerichtshof gelangte daher zu der Auffassung, dass die deutschen Gerichte ihren Beurteilungsspielraum bei der Verurteilung Patrick Stübings nicht überschritten hatten. Folglich lag keine Verletzung von Artikel 8 vor.

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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 12.04.2012
Quelle: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte/ra-online

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Fundstellen in der Fachliteratur: Zeitschrift für das gesamte Familienrecht mit Betreuungsrecht (FamRZ)
Jahrgang: 2012, Seite: 937
FamRZ 2012, 937
 | Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW)
Jahrgang: 2013, Seite: 215
NJW 2013, 215

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