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Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 24.07.2018
- 2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16 -
Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Fixierung von Patienten in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung
Fixierung stellt Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit dar
Patienten in der Psychiatrie dürfen nur nach richterlicher Genehmigung für eine längere Zeit fixiert werden. Einschlägige Vorschriften des Landes Baden-Württemberg wurden für verfassungswidrig erklärt. Der baden-württembergische und der bayerische Gesetzgeber - der bislang keine spezielle Rechtsgrundlage für Fixierungen erlassen hat - wurden verpflichtet bis zum 30. Juni 2019 einen verfassungsgemäßen Zustand herbeizuführen. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hervor.
Im Fall 2 BvR 502/16 betrifft die
Keine spezielle Ermächtigungsgrundlage für Fixierungsanordnung im Bayerischen Unterbringungsgesetz vorgesehen
Das Bayerische Unterbringungsgesetz (BayUnterbrG), welches Rechtsgrundlage für die vorläufige Unterbringung des Beschwerdeführers war, sieht keine spezielle Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung von Fixierungen vor. Der Beschwerdeführer nahm den Freistaat Bayern erfolglos auf Schadensersatz und Schmerzensgeld für die aufgrund der
Verfassungsbeschwerde gegen amtsgerichtlicher Anordnung sowie baden-württembergischen Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen
Die
Schutz vor staatlichen Eingriffen in körperliche Bewegungsfreiheit gilt auch für psychisch Erkrankte
I. Die
1. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG bezeichnet die Freiheit der Person als "unverletzlich". Diese verfassungsrechtliche Grundentscheidung kennzeichnet das Freiheitsrecht als ein besonders hohes Rechtsgut, in das nur aus wichtigen Gründen eingegriffen werden darf. Geschützt wird die im Rahmen der geltenden allgemeinen Rechtsordnung gegebene tatsächliche körperliche Bewegungsfreiheit vor staatlichen Eingriffen. Ob ein
BVerfG zum Begriff der "freiheitsbeschränkenden" und "freiheitsentziehenden" Maßnahme
2. a) Der Schutzbereich von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG umfasst sowohl freiheitsbeschränkende als auch freiheitsentziehende Maßnahmen, die das Bundesverfassungsgericht nach der Intensität des Eingriffs voneinander abgrenzt. Eine Freiheitsbeschränkung liegt vor, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt gegen seinen Willen daran gehindert wird, einen Ort aufzusuchen oder sich dort aufzuhalten, der ihm an sich (tatsächlich und rechtlich) zugänglich wäre. Die
5-Punkt- oder 7-Punkt-Fixierung von mehr als 30 Minuten stellt Freiheitsentziehung dar
b) Jedenfalls eine 5-Punkt- oder 7-Punkt-Fixierung, bei der sämtliche Gliedmaßen des Betroffenen mit Gurten am Bett festgebunden werden, stellt eine
Fixierung im Rahmen eines bestehenden Freiheitsentziehungsverhältnisses stellt eigenständige Freiheitsentziehung dar
3. Aufgrund ihrer besonderen Eingriffsintensität ist die nicht nur kurzfristige
Eingriffsqualität der Fixierung nicht von richterlicher Unterbringungsanordnung gedeckt
Sowohl eine 5-Punkt- als auch eine 7-Punkt-Fixierung weisen jedoch im Verhältnis zu diesen Maßnahmen eine Eingriffsqualität auf, die von der richterlichen Unterbringungsanordnung nicht gedeckt ist und eine Einordnung als eigenständige
Betroffene von rechtzeitiger Hilfe durch Pflegepersonal abhängig
Die besondere Intensität des Eingriffs folgt bei der 5-Punkt- und der 7-Punkt-Fixierung zudem daraus, dass ein gezielt vorgenommener
Gesetzliche Ermächtigungsgrundlage muss Fixierung als letztes Mittel vorsehen
II. Auch schwerwiegende Grundrechtseingriffe wie Fixierungen kann der Gesetzgeber prinzipiell zulassen. Aus dem Freiheitsgrundrecht sowie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergeben sich jedoch strenge Anforderungen an die Rechtfertigung eines solchen Eingriffs: Die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage muss hinreichend bestimmt sein und als materielle Voraussetzung vorsehen, dass eine
Verpflichtung des Gesetzgebers Richtervorbehalt verfahrensrechtlich auszugestalten
III. 1. Art. 104 Abs. 2 GG fügt für die
Richtervorbehalt dient als unabhängige und neutrale Instanz der Grundrechtssicherung
2. Der Richtervorbehalt dient der verstärkten Sicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Er zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz ab. Das Grundgesetz geht davon aus, dass Richter aufgrund ihrer persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit und ihrer strikten Unterwerfung unter das Gesetz die Rechte der Betroffenen im Einzelfall am besten und sichersten wahren können. Alle staatlichen Organe sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird. Für den Staat folgt daraus die verfassungsrechtliche Verpflichtung, die Erreichbarkeit eines zuständigen Richters - jedenfalls zur Tageszeit - zu gewährleisten und ihm auch insoweit eine sachangemessene Wahrnehmung seiner richterlichen Aufgaben zu ermöglichen.
Freiheitsentziehung bedarf grundsätzlich vorherige richterliche Anordnung
3. Die
Richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen
4. Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG fordert in einem solchen Fall, die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. Das Tatbestandsmerkmal "unverzüglich" ist dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss. Sachliche Gründe, die eine Verzögerung der richterlichen Entscheidung rechtfertigen, können sich etwa aus der Notwendigkeit verfahrensrechtlicher Vorkehrungen ergeben, die dem Schutz des Betroffenen dienen und für 5-Punkt- und 7-Punkt-Fixierungen in der Unterbringung entsprechend gelten (zum Beispiel die persönliche Anhörung des Betroffenen und die Beteiligung des Verfahrenspflegers). Wird zur Nachtzeit von einem Arzt zulässigerweise eine
Beide Verfassungsbeschwerden begründet
IV. Nach diesen Maßstäben sind die Verfassungsbeschwerden begründet. Die gerichtlichen Entscheidungen verletzen den Betroffenen zu I. beziehungsweise den Beschwerdeführer zu II. jeweils in ihrem
§ 25 PsychKHG BW genügt Anforderungen weitestgehend
1. § 25 PsychKHG BW genügt zwar weitgehend den Anforderungen von Art. 2 Abs. 2 Sätze 2 und 3 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG. Insbesondere regelt die Vorschrift die Einschränkung der persönlichen Freiheit aus einem wichtigen Grund, namentlich zum Schutz der Sicherheit in der anerkannten Einrichtung und des Betroffenen vor einer erheblichen Selbstgefährdung und bedeutender Rechtsgüter Dritter, begründet mit dem Erfordernis einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr eine hohe Eingriffsschwelle und sieht verfahrensrechtliche Regelungen vor, die den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerecht werden.
Fehlender Hinweis auf Möglichkeit einer richterlichen Rechtmäßigkeitsprüfung nach Beendigung einer Fixierung
Allerdings enthält die Vorschrift keine Regelung dahingehend, dass der Betroffene nach Beendigung einer
Vereinbarkeitsprüfung der Rechtsgrundlage mit Grundgesetz von Fachgerichten durchzuführen
Daher verletzt der angegriffene Beschluss des Amtsgerichts Ludwigsburg den Betroffenen zu I. in seinem Freiheitsgrundrecht. Es ist zunächst Sache der Fachgerichte, die Vereinbarkeit der jeweils herangezogenen Rechtsgrundlagen mit dem Grundgesetz zu prüfen, gegebenenfalls vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren und bei negativem Ausgang der Prüfung die Sache im Verfahren der konkreten Normenkontrolle dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage kann von den Fachgerichten überdies von Amts wegen - unabhängig von einer entsprechenden Rüge des jeweiligen Klägers - zu prüfen sein. Das Amtsgericht hat in der angegriffenen Entscheidung darauf hingewiesen, dass der baden-württembergische Gesetzgeber die Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen den Ärzten der anerkannten Einrichtung übertragen, jedoch keinen Richtervorbehalt normiert habe und die
Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 BayUnterbrG genügen nicht den Bestimmtheitsanforderungen
2. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts München im Amtshaftungsverfahren verletzt den Beschwerdeführer zu II. in seinem Freiheitsgrundrecht. Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts stellt Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 BayUnterbrG keine ausreichende gesetzliche Grundlage für die
Teilverfassungswidrigkeit für Übergangszeit hinzunehmen
V. Die teilweise
In Baden-Württemberg richterlicher Vorbehalt während Übergangszeitraum anzuwenden
VI. 1. In Baden-Württemberg ist der jedenfalls für 5-Punkt- und 7-Punkt-Fixierungen geltende Richtervorbehalt aus Art. 104 Abs. 2 GG während eines Übergangszeitraums bis zum 30. Juni 2019 unmittelbar anzuwenden. Das Verfahren kann in dieser Zeit den §§ 312 ff. FamFG und §§ 70 ff. FamFG entsprechend durchgeführt werden. Zudem folgt in der Übergangszeit unmittelbar aus dem Freiheitsgrundrecht die Pflicht der behandelnden Ärzte, den Betroffenen nach Erledigung der Fixierungsmaßnahme auf die Möglichkeit hinzuweisen, eine richterliche Entscheidung zu beantragen.
Keine Unzulässigkeit der Maßnahme trotz fehlender gesetzlicher Grundlage im Freistaat Bayern
2. Dass es im Freistaat Bayern derzeit insgesamt an einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden gesetzlichen Grundlage für die Anordnung von Fixierungen im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung fehlt, führt für eine Übergangszeit bis zum 30. Juni 2019 ebenfalls nicht zur Unzulässigkeit einer solchen Maßnahme.
Sofortiger Verbot der Fixierungsmaßnahmen lässt Schutzlücke entstehen
a) Das Bundesverfassungsgericht kann einen verfassungswidrigen Rechtszustand vorübergehend hinnehmen, um eine Lage zu vermeiden, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen noch ferner stünde als der bisherige Zustand. Solange der bayerische Gesetzgeber keine Entscheidung darüber getroffen hat, in welcher Weise er einen verfassungsgemäßen Zustand herstellen und ob er an der
Während Übergangszeit Prüfung jeder Fixierung auf das ob und wie lange unerlässlich
b) Dies bedeutet allerdings nicht, dass Fixierungen untergebrachter Personen im Freistaat Bayern in der Übergangszeit beliebig zulässig wären. Vielmehr ist angesichts des hohen Werts des Freiheitsgrundrechts bei jeder
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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 24.07.2018
Quelle: Bundesverfassungsgericht/ ra-online
- Amtsgericht Ludwigsburg, Beschluss vom 04.02.2015
[Aktenzeichen: 5 XIV 29/15 L]
- Oberlandesgericht München, Urteil vom 04.02.2016
[Aktenzeichen: 1 U 2264/15] - Landgericht München I, Urteil vom 27.05.2015
[Aktenzeichen: 15 O 21894/11]
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Dokument-Nr. 26217
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